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Archiv-Artikel

Hamburg ist nicht alles

Alle Jahre wieder keimt die Nordstaat-Diskussion – nun genährt durch Äußerungen von Hamburgs Bürgermeister von Beust in der Vorwoche. Karl-Martin Hentschel, Fraktionschef der Grünen im Kieler Landtag, ist für den Nordstaat. Ein Debattenbeitrag

Seit langem tritt die Landtagsfraktion der Grünen in Schleswig-Holstein für eine engere Zusammenarbeit der norddeutschen Bundesländer ein. Darüber hinaus spreche ich mich persönlich auch für einen gemeinsamen Nordstaat aus – wobei ich weiß, dass dies nicht die Meinung aller in der Partei ist. Im Folgenden will ich meine Position begründen.

Es geht mir dabei gar nicht so sehr um das Größenargument: Die These, Länder wie Schleswig-Holstein oder Hamburg seien in einem vereinten Europa zu klein, halte ich nicht für schlüssig. Immerhin gibt es in der EU schon heute mit Luxemburg einen lebensfähigen Kleinstaat, mit der EU-Erweiterung kommen darüber hinaus künftig Länder wie Malta, Zypern oder Estland hinzu, die weniger EinwohnerInnen als Schleswig-Holstein haben.

Abgetrennte Metropole

Kleine Bundesländer haben zweifellos das Problem, dass sie nicht in allen Bereichen von Verwaltung, Parlament und Regierung die Kompetenz und den Grad an Spezialisierung vorhalten können wie große Länder. Dies kann durch Schwerpunktsetzung und Kooperation mit benachbarten Ländern aber teilweise aufgewogen werden. Und das geschieht in Hamburg und Schleswig-Holstein ja auch schon.

Während finanzielle und strukturelle Argumente also nicht zwingend einen Nordstaat erfordern, gibt es trotzdem genug Gründe, die dafür sprächen – und dabei ist vor allem die Trennung der Metropole Hamburg vom Hinterland zu nennen. Sie ruft Reibungspunkte aufgrund zahlreicher Verflechtungen hervor: Bei der Organisation eines optimalen öffentlichen Verkehrs, der Planung und dem Ausbau der Verkehrsachsen, der Abfall- und Abwasserentsorgung, der Steueraufteilung, der Ausweisung von Bau- und Gewerbegebieten, im Schulwesen und, und, und.

Auf Umland angewiesen

Hamburg und Schleswig-Holstein sind ein gemeinsamer Wirtschafts- und Lebensraum: Es gibt extrem hohe Pendlerzahlen zwischen den beiden Ländern. Das Hamburger Umland erwirtschaftet über 50 Prozent des Sozialprodukts von Schleswig-Holstein. Hamburg-Fuhlsbüttel ist der gemeinsame Großflughafen der Region.

Umgekehrt ist Hamburg in vieler Hinsicht auf Schleswig-Holstein als Umland angewiesen: Für Naherholung, Entsorgung, Flächen für Gewerbe, Wohnungen und Ausgleich. HamburgerInnen nutzen aktiv ihr Umland für Freizeit oder Sport, während Hamburg für viele Schleswig-HolsteinerInnen ihre Metropole ist, wo man in die Oper oder ins Musical geht.

Hamburg in Köln-Rolle

Noch bedeutsamer dürfte künftig zudem der gemeinsame Auftritt der Region im Ausland werden. Hamburg ist bekannt als Weltstadt. Dagegen kennt kaum jemand in USA und China Schleswig-Holstein. Ein gemeinsamer Auftritt eines „Nordelbien“ mit der Metropole Hamburg könnte mit „seinen“ Stränden in Timmendorf und Sylt, seiner Seenlandschaft der Holsteinischen Schweiz werben. Die High-Tech-Standorte für Medizintechnik in Lübeck und für Chips in Itzehoe stünden in einer Reihe mit der Airbusfabrik in Finkenwerder. Schleswig-Holstein verlöre den Beigeschmack der Provinz – es läge dann neben dem Flughafen, der Kulturmetropole. Und Hamburg gewänne das Umland von Lübeck über die Schlei bis zum Nationalpark Wattenmeer hinzu.

Wie sollte ein solcher Nordstaat aussehen? Nahe liegend wäre ein Zusammenschluss von Hamburg und Schleswig-Holstein. Dabei gäbe es aber ein Problem: Die Region Hamburg würde das neue Bundesland deutlich dominieren – ökonomisch und kulturell. Daher wäre die Beteiligung von Mecklenburg-Vorpommern gerade aus schleswig-holsteinischer Sicht wünschenswert. Sie würde die Gewichte in dem neuen Bundesland verschieben und die Dominanz der Metropole reduzieren. Auch die Umlandkreise von Niedersachsen wären eine Bereicherung für ein solches gemeinsames Bundesland.

Zur Frage einer künftigen Hauptstadt: Ich begrüße die Bemerkungen von Bürgermeister von Beust, dass Hamburg nicht die Hauptstadt eines Nordstaates sein muss. Gerade aufgrund der ökonomischen, medialen und kulturellen Dominanz von Hamburg bietet es sich an, dass Hamburg eher die Rolle einer Metropole wie Frankfurt in Hessen oder Köln in Nordrhein-Westfalen haben sollte.

Identität muss wachsen

In der Realität begegnet das Projekt eines Nordstaates sicherlich praktischen und emotionalen Problemen, die überwunden werden müssten. Eines davon ist die Repräsentanz im Bundesrat. Oder die Verteilung der Finanzmittel. Dies alles könnte nur in einem Gesamtpaket diskutiert und gelöst werden. Gegebenenfalls muss es Übergangsregelungen geben.

Das ernsteste Problem ist in meinen Augen die Frage der regionalen Identität. Das Nordstaat-Projekt kann nur erfolgreich sein, wenn die Herzen der Menschen dafür gewonnen werden. In Schleswig-Holstein betrifft das ganz besonders den Landesteil Schleswig, der aufgrund seiner historischen Verbindung nach Norden sich wohl am schwersten tun würde. Insofern käme es darauf an, mögliche Schritte der Zusammenarbeit unterhalb eines formalen Zusammenschlusses zu nutzen. Vielleicht wäre ja auch eine offizielle Kooperation in einem nordelbischen Bund ein Schritt, durch den nach und nach eine nordelbische Identität entstehen könnte. Erste Schritte dafür gibt es: Die Nordelbische Kirche oder der Bezirk Nordmark des DGB.

Letztlich kann das Land Nordelbien nur Ergebnis eines emotionalen und kulturellen Zusammenwachsens der Länder sein.