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Archiv-Artikel

Rekord-Extrainer mit verkürzter Halbwertszeit

Nach dem Ende als Coach bei Gladbach könnte Ewald Lienen seinen 50. im vorübergehenden Ruhestand begehen

Im November wird er 50. Den Tag wird Ewald Lienen vermutlich im vorübergehenden Ruhestand feiern. Am Sonntag ist er bei Fußball-Erstligist Borussia Mönchengladbach gefeuert worden, die vierte Entlassung in acht Jahren. Dazu kommt die Demission beim spanischen Zweitligisten CD Teneriffa. Lienens Halbwertszeit als Coach wird immer kürzer. Bald ist er Rekord-Extrainer.

Lienen hatte immer, ob in Duisburg, Rostock, Köln oder als Vorjahresretter in Gladbach, großen Anfangserfolg. Danach erreichte er regelmäßig sein Team nicht mehr. Lienen polarisiert. Er predigt Disziplin und fordert profihaftes Leben. Nun weiß man in der Szene, dass Lienen selbst nicht der Zuverlässigste ist: Seine Eigenorganisation ist schlampig, manchmal kommt er zu spät zum Training. Alles Dinge, die man ihm vorwerfen kann.

Lange trug Lienen seine Vergangenheit als Ballast. Zu Spielerzeiten war er Linksaußen –nicht nur auf dem Platz. Er mischte sich systemkritisch ein, mal Grünen-, mal DKP-nah, Öko-Rebell, Pazifist mit Zottelmähne und Ziegenbart – was für einen Kicker damals noch ungewöhnlicher war als heute. Als ihm Bremens Verteidiger Siegmann den Schenkel aufschlitzte, war Lienen Opfer des „Schweinesystems Fußball“.

Als Trainer trug „Zettel-Ewald“ (Branchenspott) dann die Abnabelung von der Vergangenheit als Ballast. Er musste sich rechtfertigen, warum er sich nicht mehr einmische, warum er gewissensbelastend so viel Schweinegeld verdiene. Das nervte ihn. Vor einigen Jahren wurde er zeitweilig als Bayern-Coach gehandelt und nach 1998 als Nationaltrainer diskutiert.

Selbstkritik ist Lienens erste Eigenschaft nicht, Selbstironie nur in privater Runde, wo er gern mit kräftigem Bass die Lieder von Franz-Josef Degenhardt imitiert. Der Vorwurf, er sei nicht wahrnehmungssicher und manchmal realitätsfern, empört ihn. „Lienens Labereien“ war vor zwei Jahren, als er beim 1. FC Köln immer neue Ausreden suchte, rund um den Dom das geflügelte Wort. In Mönchengladbach wollten sie jetzt eine ähnlich lange Entlassungsgeschichte wie in Köln offenbar vermeiden.

In seinen 203 Tagen in Gladbach war der Zigarettenhasser und Alkoholverächter auffallend ruhiger und gelassener geworden. Dünnhäutig aber blieb er. Donnerstag nervte er die Presse mit einem missionarischen 40-Minuten-Monolog. Unter Kollegen am Bökelberg hieß Lienen bisweilen „der Wahnsinnige“ – liebevoll gemeint, manchmal.

Fußballteams sind hydrahafte Gebilde, ein Rudel Hyänen im Kampf um Pfründen. Da musste es schon gut passen, dass dieser oberlehrerhafte Querkopf akzeptiert wurde. Es ging ganz – oder gar nicht. Auffällig: In Mönchengladbach ist Ewald Lienen nie richtig gefeiert worden. Respektiert ja, aber nicht geliebt. Als am letzten Spieltag der Vorsaison der Klassenerhalt gesichert war, jubelten die Fans dem Vorgänger Hans Mayer mehr zu als ihm.

Jeder Trainer ist ein designierter Extrainer, hat Joschka Fischer, wie Lienen früher bekennender Linker, einmal fußballphilosophiert. Lienen wird den Satz umzudrehen versuchen, um sich wieder in den endlosen Zirkusreigen einzureihen. Nur wo? Vielleicht in der ersten Heimat: Arminia Bielefeld. Beim Zweitligisten ist mit Benno Möhlmann einer von Lienens besten Freunden werdender Extrainer. BERND MÜLLENDER