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Archiv-Artikel

Die Domino-Gefahr

Hannover will das Blindengeld abschaffen: Auch der Bremer Blindenverein wird dagegen demonstrieren

Bremen/Hannover taz ■ Sie sind es schon gewohnt, die Aktiven vom Bremer Blindenverein: Demonstrieren gegen die Abschaffung des Landesblindengeldes. Aktuell versucht die niedersächsische Landesregierung das Landesblindengesetz zu kippen. Das sichert Blinden vermögens- und einkommensunabhängige Mittel zu.

In Bremen fällt das Blindengeld unter die Rubrik Landespflegegeld. Mit dem werden auch Schwerbehinderte unterstützt. Essoll die „behinderungsbedingten Mehrkosten“ decken, die beispielsweise durch spezielle Geräte, blindengerechte Bücher und notwendige Begleitpersonen anfallen. 344 Euro monatlich beträgt das momentan in Bremen. Auch Blinde mit festem Einkommen können es beantragen. Der Bremer Blindenverband befürchtet nun, dass mit der Abschaffung des Landesblindengeldes in einem Bundesland der Damm bricht: „Wenn es erst in einem Bundesland fällt, wird es überall abgeschafft“, ist der, sozialpolitischer Sprecher des Verbandes, Hans-Joachim Steinbrück, überzeugt. Hinzu kommt: Bremen kupfert in puncto Sparpläne gerne beim großen Nachbarn ab.

Das Blindengeld würde auch in Niedersachsen nicht ersatzlos gestrichen: An seine Stelle träte die so genannte Blindenhilfe. Sie ist allerdings Einkommens- und Vermögens abhängig. Vermögen, das sind in diesem Fall keine Millionen, sondern ganze 2.600 Euro.

Besonders prekär: In Bremen hatte es erst kürzlich deutliche Abstriche beim Landespflegegeld gegeben. Anfang 2004 wurde es um 20 Prozent eingedampft. Das, so Hans-Joachim Steinbrück, habe man als „Opfer für die allgemein schlechte Haushaltslage“ hingenommen – auch, weil das größere Übel gerade erst abgewendet worden war: Im November 2003 war die komplette Abschaffung im Gespräch gewesen, so wie bereits 2001. Damals hatten 4.000 Blinde aus der ganzen Republik für den Sinneswandel der Politiker demonstriert. Ob diese von der doch so großen Lobby überrascht wurden? Nun wollen die Blinden alles daran setzen,diesen Effekt zu wiederholen. Am 11. September findet in Hannover eine Groß-Kundgebung statt. Erwartet werden etliche Blinde aus der ganzen Republik:Mehr als 1.000 haben sich aus Bayern angekündigt, in Berlin hat der Blindenverein bereits zehn Busse für diesen Termin gechartert.

Die Angst vor dem Domino-Effekt scheint offenbar verbreitet. In Bremen ist sie scheinbar unbegründet: „Einen Versuch, das Landespflegegeld abzuschaffen plant derzeit niemand“, so die Sprecherin des Sozialressorts Heidrun Ide. Möglich wäre die Abschaffung allerdings schon: Im Gegensatz zur Sozialhilfe handelt es bei ihm sich um eine der so genannten „freiwilligen Leistungen“ des Landes.

Die niedersächsische Regierung hat jetzt noch einmal Gesprächsbereitschaft signalisiert. Am 9. September treffen sich in Hannover Ministerpräsident Christian Wulff und Sozialministerin Ursula von der Leyen mit dem Deutschen Blindenverband. Es soll um Einzelpunkte gehen. Allerdings steht die Einsparsumme fest: 21 Millionen Euro. Diskutiert werden kann nach Auskunft des Sozialministeriums allenfalls „über die Höhe des Freibetrags“.

Die Demonstration findet unabhängig vom Ausgang der Gespräche statt. „Wir wollen Solidarität bekunden“ so Steinbrück, „so wie 2001 alle nach Bremen gereist sind, wollen wir jetzt den Blinden aus Niedersachsen beistehen.“

Allerdings – unproblematisch ist das nicht: Blinde haben im fremder Umgebung große Orientierungsprobleme, zumal, wenn noch Tausende andere unterwegs sind. Deswegen benötigt jeder einen sehenden Begleiter. Viele würden gerne mitfahren, trauen sich aber nicht, weil sie noch keinen helfende Hand gefunden haben.

Anna Postels

Der Bremer Blindenverein sucht freiwilliger Helfer, die am 11. September mit nach zur Demonstration nach Hannover fahren und dort einen Blinden begleiten. Kontakt unter: ☎ (04 21) 32 77 33