: Aufschieben statt abschieben!
Gern gibt sich Innensenator Körting in Abschiebungsfragen machtlos. Niemand verlangt, dass er geltendes Recht bricht. Dennoch könnte er eine Menge tun, meinen Experten. Eine Handreichung
VON WALTRAUD SCHWAB
Beobachter der Ausländerbehörde meinen, dass derzeit vermehrt Flüchtlinge abgeschoben werden, die schon länger in Berlin leben. Kritiker dieser Berliner Praxis sehen einen Zusammenhang mit dem am 1. Januar in Kraft tretenden neuen Zuwanderungsgesetz. Dies bietet Ausländern mit ungesichertem Aufenthaltsstatus, die aber, wie etwa traumatisierte Bürgerkriegsflüchtlinge, Härtefallgründe gegen eine Aufenthaltsbeendigung vorbringen können, eine größere Chance, eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis zu erhalten.
Nach dem neuen Gesetz darf die oberste Landesbehörde anordnen, „dass einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, […] eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, wenn eine von der Landesregierung durch Rechtsverordnung eingerichtete Härtefallkommission darum ersucht (Härtefallersuchen)“. Damit werden Härtefallkommissionen, die es bisher auch gibt, die jedoch keine gesetzliche Bindung haben, auf eine rechtliche Grundlage gestellt.
Vier Monate trennen die jetzt von Abschiebung Bedrohten von den Chancen, die das neue Gesetz bietet. Da wirkt es wie Hohn, dass die Ausländerbehörde bis dahin offenbar in gewohnter Manier verfahren will. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) ist der oberste Dienstherr dieser Behörde. Seine gern vorgetragene Beteuerung, dass ihm ob des Vorgehens der Behörde die Hände gebunden seien, wird von Juristinnen, Politikern und Flüchtlingsorganisationen ebenfalls als Zynismus empfunden.
Zwar kann Körting ganz richtig, wie er immer betont, keine Weisungen gegen geltendes Recht geben, und seine Behörde hat auch nicht mehr wie früher das Widerspruchsrecht bei de einzelnen Entscheidungen der Ausländerbehörde, aber ganz machtlos ist der Senator dennoch nicht. Durch kluges Taktieren nämlich könnte es ihm durchaus gelingen, die nächsten Monate zu überbrücken, ohne dass die Ausländerbehörde, die zu einem Eldorado der Hardliner geworden ist, weiter unsinnige Härte zeigen muss.
Nach Auskunft des Rechtsanwalts Peter Meyer, Experte in Aufenthaltsrechtsfragen, könnte Körting die Ausländerbehörde anweisen, ihm noch offene Fälle der Bürgerkriegsflüchtlinge vorzulegen. Das könnte er auch tun, wenn für die einzelnen Flüchtlinge juristisch alles ausgereizt wäre. Mit der Prüfung der Fälle könnte sich der Innensenator Zeit lassen bis nächstes Jahr.
Körting könnte die Ausländerbehörde auch anweisen, in den nächsten Monaten vorrangig dafür zu sorgen, dass die Leute aus den neuen EU-Ländern, die vorher schon als Ausländer hier gelebt haben, endlich ihre EU-Aufenthaltsrechte und EU-Pässe zugesprochen bekommen. Andere Bearbeitungen könnten zurückgestellt werden. „Noch immer laufen Polen mit alten Aufenthaltsgenehmigungen herum“, weil die Behörde angeblich überlastet ist, sagt Meyer.
Das Problem sei die Ausländerbehörde, meint auch Karin Hopfmann (PDS). Dann springt sie jedoch für Körting in die Bresche. Sie sehe, dass in der Innenverwaltung schon hingeschaut und bei einzelnen Ausländern auch zugewartet werde, meint sie. „Herr Körting weiß doch, welche Spielräume er hat.“
Flüchtlingsinitiativen und Rechtsanwälte sehen das anders. Ein Option, die Körting nämlich auch hätte, die er bisher jedoch nicht genutzt hat: Er könnte seine politische Führungsrolle wahrnehmen, um Änderungen innerhalb der Ausländerbehörde durchzusetzen. Denn dass dort Behördenautokratie herrsche, sei ein offenes Geheimnis.
In Schleswig-Holstein wurde entschieden, dass es bis zum In-Kraft-Treten des neuen Zuwanderungsgesetzes keine Abschiebung von potenziellen Härtefallkandidaten mehr geben wird. „Vorgriffsregelung“ lautet der Terminus für diese Praxis. Die PDS will nun immerhin eine solche Regelung auch für Berlin initiieren, wie Hopfmann sagte. Bis es so weit ist, bieten sich Körting weitere Handlungsoptionen.
Durch Mitwirkung der Rechtsanwälte, die Flüchtlinge vertreten, etwa eröffnen sich neue Wege, wie Körting Zeit für von Abschiebung Bedrohte gewinnen könnte. Die Juristen könnten jetzt schon vorsorglich Fälle, bei denen die Härtefallregelung ab Januar greifen könnte, der derzeitigen Härtefallkommission vorlegen. Körting wiederum hat das Recht auf Einsichtnahme der dortigen Akten. Für deren Bearbeitung könnte er sich vier Monate Zeit lassen. Auf diese Weise wären Vorgaben der Ausländerbehörde ebenfalls blockiert.
Selbstverständlich stehe es Körting immer offen, sich mit der Ausländerbehörde zusammenzusetzen, um klar zu machen, dass er andere politische Vorstellungen habe, als sie von der Behörde praktiziert würden, sagt auch Riza Baran (Grüne). „Wo kommen wir da hin, wenn eine Behörde sich wie ein Staat im Staat verhält. Es geht doch um Menschen. Um Schicksale.“ Der Bezirkspolitiker, der in der vorletzten Wahlperiode Mitglied des Petitionsausschusses war, meint, dass juristische Vertreter von potenziellen Härtefallkandidaten vorsorglich ebenfalls den Petitionsausschuss anrufen könnten. Dort habe Körting auch das Recht auf Einsichtnahme der Akten, mit deren Bearbeitung er sich dann Zeit lassen dürfte.
Wenn der Senator nicht endlich Handlungskompetenz zeigt, wird sich in der Öffentlichkeit der Eindruck verstärken, dass ihm das harte Vorgehen der Ausländerbehörde gar nicht unlieb ist. Ein Eindruck, den Flüchtlingsinitiativen übrigens schon lange haben.
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