Ohne Siegerkranz

Bei den US Open versuchen seit gestern diverse Tennisspieler, olympische Enttäuschungen zu vergessen

NEW YORK taz ■ Offiziell ist Olympia 2004 seit Sonntagabend beendet, das Ende der Tennis-Wettbewerbe liegt noch eine Woche länger zurück, aber keiner weiß, wie lange die Wirkung noch anhalten wird. Bei Siegern und Besiegten und vor allem bei jenen, die beides zugleich waren, Nicolas Kiefer und Rainer Schüttler. Schon in der tränenreichen Nacht der Niederlage im Doppelfinale gegen die Chilenen Gonzales und Massu hatte Schüttler mit flacher Stimme erklärt, es sei sicher gut, mit den US Open gleich ein neues Ziel zu haben. Neue Bilder speichern, um die alten zu löschen? Aber so einfach ist das nicht mit einem Spiel, von dem Kiefer vor ein paar Tagen meinte, das sei gleichzeitig seine schlimmste Niederlage und sein größter Erfolg gewesen. „Ja, das stimmt“, sagt auch Teamchef Patrik Kühnen, „es fällt immer noch schwer, diese Silbermedaille zu verkaufen, obwohl sie doch ein Riesenerfolg war.“

Was die Beteiligten sagen, ist eine Geschichte, was sie fühlen oder von ihren Gefühlen zeigen wollen, ist eine andere, aber der Ball rollt zügig weiter. Kiefer hatte seinen ersten Test gleich am gestrigen ersten Tag der US Open (nach Redaktionsschluss) gegen den Franzosen Nicolas Mahut, desgleichen Florian Mayer gegen den Brasilianer Flavio Saretta. Mayer tat sich nicht so furchtbar schwer, die Niederlage in der ersten Runde des olympischen Turniers zu verdauen – schließlich wusste er, woran es gelegen hatte.

In Athen hatte der junge Mann deutlich gespürt, wie viel Kraft ihn die überraschenden Erfolge des Sommers mit dem Viertelfinale in Wimbledon gekostet haben. In New York fühlt er sich deutlich frischer und ist motiviert von der Aussicht auf die Möglichkeit, bei einem Sieg in der ersten Runde in der zweiten gegen Andre Agassi spielen zu können.

Es gibt viele, die ihren olympischen Frust so schnell wie möglich loswerden wollen, und ganz oben auf der Liste, ein paar Positionen über Rainer Schüttler oder auch Thomas Haas, stehen die Namen der beiden Besten des Tennis und die der prominentesten Athener Verlierer, Roger Federer und Andy Roddick. Federer hat in New York die Chance, den dritten Grand-Slam-Titel in diesem Jahr zu gewinnen nach den Siegen von Melbourne und Wimbledon. Roddick zehrt von der Erfahrung des Sieges vor einem Jahr, mit dem er die Last abgeworfen hatte, einen Titel zu gewinnen, von dem viele seiner Landsleute meinten, er sei für ihn gemacht.

Welche Schlüsse die Verlierer von Athen gezogen haben, wird sich zeigen, aber mindestens so spannend ist die Frage, ob der Triumphator inzwischen wieder auf der Erde gelandet und ob er wieder in der Lage ist, ganz normale Bälle übers Netz zu schlagen: Nicolas Massu, der sich selbst und Chile mit zwei Goldmedaillen beglückte und der in Athen in Einzel und Doppel mit einer Leidenschaft spielte, die sicher auch die ehrgeizigen olympischen Sieger der griechischen Antike begeistert hätte.

Aber vielleicht hat ja einer die besten Aussichten bei diesen US Open, der in Athen gar nicht dabei gewesen ist. Am Sonntag gewann der Australier Lleyton Hewitt mit einem Sieg im Finale des Turniers von Long Island gegen Luis Horna aus Peru seinen vierten Titel in diesem Jahr, den zweiten in Folge. Mit einer Serie von 15 Siegen aus den letzten 16 Spielen hat sich Hewitt in Stimmung gebracht, und wenn alles gut geht in New York, dann kann er ordentlich abräumen bei diesem Turnier.

Denn mit dem Erfolg auf Long Island vor den Toren New Yorks hat er jene neue, auf die US Open hinführende Veranstaltungsreihe nordamerikanischer Turnierveranstalter mit dem Namen US Open Series gewonnen. Über die sich die Turnierdirektoren in Europa vehement ärgern, weil sie darin beträchtliche Wettbewerbsnachteile sehen. Als Lohn darf der Sieger mit einem Zuschlag von 50 Prozent auf das gewonnene Preisgeld bei den US Open rechnen. Nur mal angenommen, Hewitt gewönne den Titel in New York, dann wäre der Erfolg nicht wie für jeden der 127 Konkurrenten eine Million Dollar wert, sondern anderthalb. Womit wir Olympia und die staubigen Siegerkränze aus Olivenbaumblättern endgültig verlassen hätten. DORIS HENKEL