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Archiv-Artikel

Einer für alle, alle für einen!

Der SPD-Chef Carsten Sieling lud ein zur „Landesparteikonferenz“ – mit Kritik zwischen den Zeilen und dem Hinweis, dass es keine Alternative gibt

„Henning hat mir gegenüber ausdrücklich betont, dass er für seine persönliche Entscheidung das Einvernehmen mit seiner Partei für unbedingt erforderlich hält“

Bremen taz ■ Böse Fragen stehen in dem Brief, mit dem der SPD-Landesvorsitzende Carsten Sieling für gestern Abend zu einer „Landesparteikonferenz“ eingeladen hatte. Allerdings muss man zwischen den Zeilen lesen, um den Sprengsatz zu erkennen. Dass überhaupt kritische Fragen aufgeworfen werden, ist impertinent. Und dass die Funktionsträger der Partei eingeladen werden, darüber offen zu reden, ohne dass vorher in kleiner Runde ausgehandelt wurde, was die neue Sprachregelung sein soll. Henning Scherf habe „entgegen seiner früheren Ankündigung, im Laufe des Jahres 2005 aus dem Amt ausscheiden zu wollen, seine Bereitschaft erklärt, weiterhin Bürgermeister und Präsident des Senats bleiben zu wollen“, heißt es einleitend in dem Brief. Das ist schon starker Tobak: Ein Bürgermeister, auf dessen Wort man offenbar nicht bauen kann, auch wenn es nur die eigene politische Karriere ist.

Das ganze sei der „Medienberichterstattung“ zu entnehmen gewesen, schreibt der Vorsitzende der SPD. Das heißt im Klartext: Ich bin da völlig ohne Einfluss, mich fragt kein Scherf.

„Auch wenn eine formelle Personalentscheidung zurzeit nicht erforderlich ist ... “, heißt es in dem Brief weiter. Die Personalentscheidung ist im Grunde gefallen, heißt das, der Parteitag zur Wahl des Spitzenkandidaten in zwei Jahren wird noch eine „formelle Personalentscheidung“ fällen.

Und dann kommt Sieling zur Sache: Die Parteikonferenz soll diskutieren. Soll im Grunde die Richtlinien der SPD-Politik bestimmen, und Henning Scherf hat das erlaubt, behauptet Sieling: „Henning hat mir gegenüber ausdrücklich betont, dass er für seine persönliche Entscheidung das Einvernehmen mit seiner Partei für unbedingt erforderlich hält und gleichfalls die politischen Perspektiven unseres Landes beraten möchte.“ Das klingt irgendwie nett von ihm, die Partei muss sich regelrecht gebraucht fühlen. Scherf braucht für seine Beratung aber andere als die SPD. Sieling will „eine fundierte und mutige Diskussion, um am Ende die richtigen Entscheidungen zu treffen“. Jeder in der SPD, der das liest, weiß: Die richtigen Entscheidungen nützen natürlich nichts, wenn es nicht auch Personalentscheidungen sind. Sonst wird das, was die Partei beschließt, nicht umgesetzt.

In drei Spiegelstrichen formuliert der Brief des Landesvorsitzenden einige Themen, die an den Kern der Politik der Großen Koalition gehen: „Es geht in den nächsten Jahren um

– die Zukunft unseres Bundeslandes und die Sicherung unserer Selbständigkeit nach Auslaufen der Sanierungshilfen,

– die richtige Balance zwischen den Investitionsanstrengungen und der sozialen Stabilität unseres Gemeinwesens sowie um die Sicherung unserer bremischen Liberalität und Weltoffenheit und – die Entscheidung, ob 2007 nach zwölf Jahren Großer Koalition eine Fortsetzung dieses Regierungsbündnisses noch politisch tragfähig und hinreichend innovativ ist.“

Ein lautes „Nein“ schallt zwischen den Zeilen durch, ausgelaugt ist die Große Koalition, die Zukunft des Bundeslandes nicht gesichert, soziale Stabilität in Gefahr. Macht Scherf, der langjährige Sozialsenator, noch sozialdemokratisches Profil deutlich? Böse Frage. Hat nicht Henning Scherf mit dem streng vertraulichen Kanzlerbrief in der Tasche die Garantie dafür übernommen, dass Schröder die Kohle rüberrückt? Ist er nicht mit Schröder nach Afrika gefahren, um dort unter vier Augen die Sache klar zu machen? Das in Zweifel zu ziehen grenzt an Palastrevolte. Denn es geht ja schlicht um die Frage, ob Scherf in Kernfragen sozialdemokratischer und bremischer Politik noch glaubwürdig ist.

„Wir brauchen über unsere Aufgaben und Ziele der nächsten Jahre eine breite Beratung“, heißt es abschließend in dem Brief. Diese Beratung braucht Scherf nicht, nicht einmal für die Entscheidung darüber, wer der Spitzenkandidat der SPD sein wird in gut zwei Jahren. Aber Scherf ist schlau genug, einer Versammlung der 300 Parteifunktionäre das Gefühl nahe zu bringen, dass ihre Beratung ganz wichtig ist. Herausforderer wird es nicht geben – die haben schon im Vorfeld die Segel gestrichen. Die „möglichen Nachfolgekandidaten“ haben die „Bereitschaft von Henning Scherf begrüßt“, teilt der Brief an die Funktionsträger mit. Denn das wissen Willi Lemke und Jens Böhrnsen ganz genau: Henning Scherf duldet keinen neben sich. Klaus Wolschner