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Archiv-Artikel

Kein warmes Willkommen für Iraker

Niedersachsens Landesregierung will traumatisierte Kriegsflüchtlinge aus dem Irak ausgerechnet im berüchtigten Abschiebelager in Bramsche bei Osnabrück unterbringen. Kritiker halten das „Ausreisezentrum“ für völlig ungeeignet

KRITIK AN AUSWAHL

Der Seelsorger der chaldäischen Christen in Deutschland, Pfarrer Peter Patto, hat die Auswahl der 2.500 Iraker kritisiert, die in Deutschland aufgenommen werden sollen. „Unter den Flüchtlingen befinden sich viel mehr Muslime als Christen“, sagte Patto. Von den chaldäischen Christen, die stark unter der Verfolgung im Irak litten, seien nur wenige auf den Flüchtlingslisten zu finden. Der Grund, so Patto: Viele UN-Mitarbeiter, die für die Auswahl in Jordanien und Syrien zuständig sind, seien Muslime. Die Chaldäisch-Katholische Kirche zählt etwa 304.000 Gläubige und ist in Irak, Iran, Syrien, Libanon, Türkei, Israel, Ägypten, Frankreich, Georgien und den USA vertreten. Sie untersteht dem Papst in Rom. EPD

VON KAI SCHÖNEBERG

Kurz vor der Ankunft der ersten von 2.500 Kriegsflüchtlingen aus dem Irak in Deutschland mehren sich kritische Stimmen über die geplante Unterbringung des niedersächsischen Kontingents im „Ausreisezentrum“ in Bramsche bei Osnabrück.

„Es ist abstrus, Flüchtlinge, die man dauerhaft in Deutschland integrieren will, in ein Lager zu stecken, das dazu dient, Asylsuchende auszuweisen“, sagt Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen.

Landesinnenminister Uwe Schünemann (CDU) sei offenbar „ausschließlich an einer möglichst wirtschaftlichen Unterbringung der Flüchtlinge gelegen“, ärgert sich der SPD-Innenpolitiker Klaus-Peter Bachmann.

Mangelnde Unterstützung für die von Krieg und Vertreibung traumatisierten Flüchtlinge im berüchtigten „Abschiebelager“ fürchtet die Grüne Filiz Polat.

Die rund 230 Iraker, die Niedersachsen aufnehmen werde, seien in Bramsche „nicht schlechter untergebracht als anderswo“, sagt dagegen ein Sprecher Schünemanns zur taz. In Friedland sei schlicht kein Platz mehr für das Niedersachsen-Kontingent, weil die Länder Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen „ihre“ Flüchtlinge bereits hier im Integrationskurs schulen.

Für die Ankunft der ersten 145 Iraker am kommenden Donnerstag Mittag auf dem Flughafen in Hannover plant das Innenministerium aber sogar eine „kleine Zeremonie“.

Bis Ende des Jahres soll alle zwei Wochen eine Chartermaschine aus Damaskus oder Amman Iraker nach Deutschland bringen. Es soll sich dabei vor allem um Christen und andere verfolgte Minderheiten handeln. Die Flüchtlinge leben derzeit in Syrien und Jordanien und sollen sich in Deutschland niederlassen dürfen.

Im Herbst hatten sich Bund und Länder nach monatelangem Hickhack auf die Umsetzung eines UN-Programms geeinigt. Auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner: Insgesamt gibt es nach Schätzungen des UN-Flüchtlingshilfswerks rund 2,5 Millionen Flüchtlinge allein in den Nachbarstaaten des Irak. Innenminister Schünemann hatte zunächst einen Kompromiss mit dem Argument blockiert, er fürchte islamische Extremisten unter den Flüchtlingen.

Nun sollen alle Iraker in Friedland zunächst ein zweiwöchiges Aufnahmeverfahren durchlaufen und dann den Bundesländern zugewiesen werden. Niedersachsen schickt sein Kontingent nach einem dreimonatigen Integrationskurs in das Lager nach Bramsche.

Kritiker sehen darin kein warmes Willkommen: Seit Jahren klagen die von Abschiebung bedrohten Flüchtlinge in Bramsche über ihre Unterbringung: Die medizinische Versorgung sei mangelhaft, das Essen schlecht. Auch das Drängen der Bediensteten im Lager auf eine „freiwillige“ Ausreise der Flüchtlinge steht in der Kritik.

„Viele der Asylsuchenden haben einen Lagerkoller, es gibt jetzt schon ethnische Konflikte“, sagt die Grünen-Landtagsabgeordnete Polat. Mit den Neuankömmlingen aus dem Irak erwartet sie weiteren Streit. Ein System von „Flüchtlingen erster und zweiter Klasse“ sei fatal für beide Seiten, sagt Kai Weber vom Flüchtlingsrat.

Weber bemängelt „zu wenig Manpower“ und ungenügende Strukturen für die besonders belasteten Flüchtlinge aus dem Irak, darunter Folteropfer, Alleinerziehende, Kinder, Kranke und Senioren.

In Friedland kümmern sich dagegen Wohlfahrtsverbände wie Rotes Kreuz, Caritas und die evangelische Innere Mission um die Flüchtlinge, es gibt den Jugendtreff „Kakadu“ und den „Mini-Club“ für Kinder. 20 Mitarbeiter werden seit Monaten für die Iraker geschult, neben Sozialhelfern gibt es Dolmetscher und Trauma-Experten.

Der Flüchtlingsrat bastelt derweil an einem Willkommens-Transparent für alle Neuankömmlinge aus dem Irak. Dass diejenigen aus dem niedersächsischen Kontingent schlechtere Integrationschancen haben als die anderen, bedauert Kai Weber. Fast noch mehr stört er sich jedoch am vielfach ungesicherten Status von insgesamt 8.000 Irakern, die bereits nach Deutschland geflohen sind.

Ihre Bleibeperspektiven hätten sich je nach dem Zeitpunkt ihrer Ankunft in Deutschland geändert: Hohe Anerkennungsquoten hat Weber für die Flüchtlinge, die in der Zeit als der Irak noch unter dem Regime Saddam Hussein stand registriert, niedrige für diejenigen, die in der Zeit nach dem Einmarsch der Allierten ankamen: „Das war“, sagt Weber „wie eine Asyllotterie“.