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Archiv-Artikel

Muffensausen vor der Zukunft

Die Leipziger Buchmesse begann mit einer Eröffnungsrede, die Traditionen beschwor, weil es dem Buchhandel vor Netzpiraten gruselt. Und Karl Schlögel erhielt den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung für sein Buch „Terror und Traum“

VON DIRK KNIPPHALS

Die eBooks haben ihren Status geändert. Bis neulich waren sie noch das, was man so ein „Thema“ nennt. Man informiert sich über Preise, Möglichkeiten und Meinungen und nimmt Testberichte wahr. Doch inzwischen sind die Dinger wirklich da. Das kann man in Leipzig an der Vielzahl von Plakaten ablesen, die über eBooks informieren, und über Ideen, mit welchen Romanen man sie beladen könnte.

Wirklich zum Messethema hat Gottfried Honnefelder, der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, die eBooks gemacht – ob er es nun wollte oder nicht. Seine Rede zur Eröffnung der Messe im Leipziger Gewandhaus nutzte Honnefelder zu einer Philippika in Sachen des gerade in Stockholm anhängigen Prozesses gegen die Betreiber des Onlineangebots The Pirate Bay. Hier gehe es, so Honnefelder, um eine „richtungsweisende Entscheidung für den Zustand von geistigem Eigentum“. The Pirate Bay bietet Wegbeschreibungen an, wie man im Netz illegale Kopiermöglichkeiten von Musik, Filmen, aber eben auch von Büchern finden kann. Wenn solche Seiten wie The Pirate Bay legal würden und die eBooks sich durchsetzten, könnte es der Verlagsbranche eher über kurz als über lang so gehen wie jetzt schon der Musikindustrie: Niemand kauft mehr die Produkte, alle laden sie sich aus dem Netz herunter.

Der Weg, den Honnefelder skizzierte, lässt sich auf den Punkt bringen: Kriminalisierung solcher Internetangebote und Einhegung der Freiheit, die das Netz bietet. Er bemühte sich in dieser erstaunlich deutlichen Rede keineswegs als Vertreter einer kulturkritischen Anti-Internet-Haltung zu wirken. Aber die rhetorischen Fragen, die er stellte, waren entlarvend. So fragte Honnefelder, ob „wir“ uns bei der Hilfe zur notwendigen Auswahl im Netz „nicht weiterhin denen anvertrauen sollten, die diese Aufgabe seit über 200 Jahren transparent, öffentlich und mit dem Ziel einer vertrauensvollen Partnerschaft von Autor und Leser wahrnehmen – den Verlegern und Buchhändlern?“

Ob solche Appelle helfen? In den Blogs über die Buchmesse wird bereits angemerkt, dass die Buchbranche offenbar gerade dabei ist, die Fehler der Musikindustrie zu wiederholen, statt auf neue, kreative Vertriebswege zu setzen, die das Netz einbeziehen. Immerhin konnte Honnefelder auf die Netzplattform Libreka! verweisen, auf der man ab sofort legal eBooks beladen kann. Nur haben solche legalen Angebote eben einen in Netzkreisen nicht zu unterschätzenden Makel: Sie sind so uncool wie ihr Name.

Ansonsten war die Eröffnung stimmungsvoll. Das Gewandhausorchester spielte unter Leitung des Dirigenten Andrés Orozco-Estrada sehr unterhaltsam Prokofjew und Dvořák. Jens Reich hielt eine Laudatio auf den Preisträger des Leipziger Buchpreises zur europäischen Verständigung, Karl Schlögel, wie man sie nur halten kann, wenn man den Geehrten gut kennt.

Karl Schlögel selbst legte mit einem beeindruckenden Pathos der Nüchternheit die Ergebnisse seines Buchs „Terror und Traum“ über die Gleichzeitigkeit des stalinistischen Terrors und der alltäglichen Projektionen für eine lichte Zukunft im Jahr 1937 in Moskau dar. Mitnehmen kann man aus Laudatio und Dankesrede etwas Wichtiges: Die Beschäftigung mit dem Terror der Stalinzeit ist nicht mehr misszuverstehen als Entschuldigungsdiskurs für die deutschen Taten während des Zweiten Weltkrieges und des Holocausts (und umgekehrt). „Das, was man Stalinismus nennt, ist eine europäische Angelegenheit“, sagte Schlögel und fuhr fort: „Vielleicht sind Europa, die Europäer noch überfordert, sich der ganzen Geschichte anzunehmen. Es gab eine Zeit, in der es fast unmöglich war, diese Geschichte zu erzählen und zu schreiben, weil jedes Verbrechen auf der einen Seite als Rechtfertigung der Verbrechen auf der anderen Seite verstanden oder missverstanden werden konnte, weil die Zeit des Entlarvens und des Aufrechnens noch nicht vorüber war.“ Auch Jens Reich machte deutlich: Es ist keine Relativierung der deutschen Taten, wenn man die sowjetischen Taten auch in den Blick nimmt, um dieses „schmähliche 20. Jahrhundert“ (Reich) zu verstehen. Schlögels Buch „Terror und Traum“ ist übrigens noch nicht als eBook lieferbar.