: Wie wir Weltmeister wurden
Im belgischen Spa-Francorchamps drehten die Formel 1 und Diebe ihre Runden
Michael Schumacher wurde am vergangenen Sonntag durch einen zweiten Platz beim 50. Großen Preis von Belgien auf dem legendären Ardennenkurs in Spa-Francorchamps, „der besten Strecke der Welt“ (Olivier Panis), vorzeitig zum siebten Mal Formel-1-Weltmeister. Der in gewissen Kreisen bekannte Kerpener stellte damit „einen Rekord für die Ewigkeit“ (Gott) auf. Um das zu schaffen, benötigte er allerdings die tatkräftige Anwesenheit von zunächst drei, dann vier bewährten Spa-Touristen und Rennsportkennern: von Pauli P., Thomas H. und Rudi P. aus Wegberg (Nordrhein-Westfalen) sowie Jürgen R. aus Frankfurt am Main (Hessen).
Jürgen R. reist seit 1997 zum siebten Mal nach Spa, um endlich dort Weltmeister zu werden. Diesmal tritt er jedoch allein an, der Rühreikoch (vgl. die Berichte der Wahrheit aus den vergangenen Jahren) hat kein Geld und seinen Gasgrill verlegt, der Rest keinen Bock. Auch die Wegberger rüsten sich in einer Sparbesetzung für das Unternehmen Weltmeisterschaft. Rudi P. will sich „den ganzen Scheiß vor dem Rennen“ sparen und erst am Sonntag kommen. Carsten W. ist im Juni nach langer Krankheit verstorben.
Man beschließt, zu dritt aus Wegberg mit einem Wagen und einem Großraumzelt zu starten, um die Campingplatzgebühren von 3.000 auf knapp unter 500 Euro zu drücken. Der Donnerstag beginnt vielversprechend. Es regnet Katzen und Köter aus Eimern, die Bauernwiese nahe der Rennstrecke gleicht bereits einem sorgfältig in tiefbraune Schollen umgebrochenen Zuckerrübenacker. Selbst unter diesen Bedingungen macht der soziale Wohnungsbau gewaltige Fortschritte. Man feiert Richtfest mit niederländischem Grolschbier, „damit wir die Holländer besser verstehen“, wie Thomas H. erklärt. Dann stellt er seine Dose zwecks Wiederbefüllung aufs Autodach. Das spart.
Es regnet sich ein, es regnet, dann regnet es wieder. Pauli P. murmelt, das alles könne „doch nicht Warstein“, gewinnt den Spa-Kalauersparpreis und eröffnet die Fassbiersaison, denn in Spa fließt und strömt alles, pantha rhei und pantha Pils. „Fassbier macht fit“, sagt Pauli P., Bit sei der „Longdrink unter den Pilsen“, was sicher stimmt, genauso wie ein flugs entdecktes neues physikalisches Gesetz: „Wir sind die breite Masse.“
Skandalöserweise reißt am Abend der Himmel auf. „Go away!“, beschimpft Jürgen R. die Sonne, beschaut die kaputtgeguckte Landschaft und beißt in einen eiskalt weggegrillten Käsekrainer. Anschließend setzt Regen ein. Pauli P. reagiert rege: „Hier hat man keine schlechte Laune, hier hat man gar keine Laune.“ Jürgen R. möchte Petrus sprechen, Thomas H. „den Chef, Petrus ist nur Abteilungsleiter“. Nebenan röhrt ein Motorradmotor, der auf einer Palette festgeschraubt wurde. Das spart weder an Sprit noch an Lärm.
Nachts muss man Wasser abschlagen und watet barfuß durch den Schlamm sowie den dichter werdenden Regen. Tagsüber wird man Weltmeister im Wesentlichen durch Herumhocken. Am Samstagmorgen gegen halb sieben stellt Pauli P. dann fest, dass seine Hose und seine Jacke aus dem Zelt geklaut wurden. Weg sind: sämtliche Papiere, Hausschlüssel, eine Kamera, 500 Euro und zwei der drei Gold-5-Tickets zum Spa-Unfreibetrag von 365 Euro pro Stück. Jetzt haben wir uns auch noch die Karten gespart. Wir bauen bei belgischem Regen ab und verschwinden aus Spa, back to Wegberg. Jürgen R. verbrennt sich beide Zeigefinger beim Protestrauchen. Pauli P. sagt: „Das is’ doch nich’ normal.“ – „Warum ist die Welt schlecht?“, fragt Jürgen R., und Pauli P. sagt: „Weil sie schlecht ist.“
Als Jürgen R., umgestiegen in den eigenen Wagen, hinter Wegberg gerade auf die Autobahn nach Frankfurt einbiegen will, klingelt sein Handy. „Dreh um, die Karten sind gefunden worden“, sagt Pauli P. Das glaubt keine Sau. „Das is’ doch nich’ normal“, sagt Pauli P. Wir sitzen in seinem Auto und brettern zurück nach Spa, inzwischen geduscht und mit entschlammten Schuhen. Dort treffen wir einen Kleintransportunternehmer. Der ist auf der Rückfahrt von Paris nach Stuttgart zufällig an Spa vorbeigekommen, hat eine Rast eingelegt und beim Joggen im Wald in einem Baumstumpf eine Jacke und eine Hose gefunden, die Karten entdeckt und sich gedacht: Mensch, die brauchen die ja schnell wieder! Er ruft Rachel an, deren Nummer er auf einem Zettel im Portemonnaie findet, Rachel aus Wuppertal ruft einen Freund in Wegberg an, der ruft Rudi P. an, und der ruft Pauli P. an.
Peri Atici aus Göppingen, so heißt der Retter, muss ein Weltdenkmal gesetzt werden. Es gibt solche Menschen, das glaubt kein Mensch. Rudi P. glaubt das am Sonntag während der Fahrt zum Rennen, bei dem wir auf Gold 5 an Start/Ziel Weltmeister werden, immer noch nicht und hält eine Rede zur nationalen Sicherheitslage in Spa-Zelten.
Wie man das macht, Weltmeister werden? Man fährt dreimal nach Spa, um einmal nach Spa zu fahren. Das machen wir bestimmt alles wieder so. Wenn Jürgen R.s Socke wieder auftaucht. Die ist auch geklaut worden. JÜRGEN ROTH