: Pakistans Anwälte zurück auf der Straße
Nachdem sie mit ihren Protesten maßgeblich zum Sturz des Militärmachthabers Musharraf beigetragen hatten, demonstrieren viele Juristen jetzt gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Zardari. Der hat ein wichtiges Wahlversprechen gebrochen
AUS DELHI SASCHA ZASTIRAL
Es ist ein Déjà-vu: Wieder protestieren in Pakistan Anwälte. Anhänger der Opposition begleiten die Juristen und skandieren Sprechchöre gegen die Regierung. Wieder kommt es zur Gewalt: Männer in schwarzen Anzügen zerstören Plakate der Regierung und greifen Polizisten an. In Karatschi prügeln am Donnerstag Sicherheitskräfte auf die Juristen ein und nehmen viele von ihnen fest, darunter zahlreiche Frauen. Wieder gehen Bilder von blutüberströmten Anwälten um die Welt.
Aus den Städten Karatschi und Quetta setzten sich am Donnerstag Konvois der Juristen in Richtung Hauptstadt in Bewegung. Anwälte aus anderen Landesteilen wollen sich dem „Langen Marsch auf Islamabad“ am Freitag anschließen, zu dem Anwaltskammern im ganzen Land aufgerufen haben. Es sind neue Zusammenstöße zu befürchten: Denn die Regierung hat in vielen Landesteilen öffentliche Versammlungen verboten. Am Mittwoch ließ sie mehr als 500 Aktivisten festnehmen.
Die Juristen verlangen, der Präsident solle die Ende 2007 entlassenen obersten Richter des Landes wieder einsetzen. Oder besser gesagt: Sie fordern es immer noch. Ihr Zorn richtet sich gegen den demokratisch gewählten Präsidenten, Benazir Bhuttos Witwer Asif Ali Zardari. Entgegen seinen Versprechen hat er nur wenige der 60 höheren Richter wieder ins Amt gebracht, die sein Vorgänger, Diktator Pervez Musharraf, aus dem Amt geworfen hatte. Damals hatte Iftikhar Chaudhry, der oberste Richter, gedroht, er werde die „Verfassungsmäßigkeit“ von Musharrafs Präsidentschaft überprüfen. Musharraf entließ darauf die meisten hohen Richter und setzte Gefolgsleute ein. Doch die Reaktion fiel heftiger aus, als es der General erwartet hatte. Denn viele Juristen, die oft selbst mit der Militärdiktatur gekungelt hatten, wandten sich gegen den Staatschef. Sie setzten Proteste in Gang, an deren Ende Musharraf im August 2008 nur noch abtreten konnte. Die neue Regierung und der demokratisch gewählte Präsident Zardari sollten die Justiz wiederherstellen. Doch dazu kam es nie.
Denn Zardari saß selbst wegen etlicher Vergehen zehn Jahre im Gefängnis, wenngleich er nie rechtskräftig verurteilt wurde. Mehrere ausländische Gerichte setzten ihre Verfahren gegen ihn aus, vermutlich auch auf Bitten der USA. Der Krisenstaat Pakistan sollte nicht noch tiefer ins Chaos gestürzt werden. Doch die rechtmäßigen, von Musharraf mit unlauteren Methoden entlassenen Richter hätten Zardari wegen seiner Vergangenheit stürzen können.
Deshalb setzte er die Richter nicht wieder ein, worüber im August 2008 die große Koalition zerbracht, die seine „Pakistanische Volkspartei“ (PPP) mit der Nawaz-Muslimliga (PML-N) des zweifachen Ex-Premiers Nawaz Sharif eingegangen war. Sharif zog sich in die Opposition zurück. Auch ihn trieben vor allem Machtinteressen an: Musharraf ließ ihn nach seinem Putsch im Jahr 1999 in einem Schauprozess wegen mehrerer vermeintlicher Vergehen verurteilen. Wegen dieser Vorstrafe durfte Sharif seitdem für kein politisches Amt mehr kandidieren.
Vor knapp zwei Wochen bestätigten die noch amtierenden Musharraf-Richter, dass Nawaz Sharif und sein Bruder Shahbaz „nicht geeignet“ seien, öffentliche Ämter zu bekleiden. Shahbaz verlor seinen Sitz in der Regionalversammlung der Provinz Punjab und damit sein Amt als Ministerpräsident der Provinz.
Allerdings, bemerken Beobachter, hätten die Sharifs den Richtern kaum eine andere Wahl gelassen: Sie seien zu keiner der Anhörungen erschienen und hätten den Obersten Gerichtshof in seiner derzeitigen Zusammensetzung für „illegal“ erklärt. Daher führen die beiden Sharifs nun die Proteste gegen die Regierung. Angesichts der massiven anderen Probleme, mit denen das Land zu kämpfen hat, stehen ihm unruhige Zeiten bevor.