: Werner Schulz macht Weltpolitik
Weil die Koalition unbedingt eine eigene Mehrheit bei der Gesundheitsreform will, kehrt der Außenminister vorzeitig aus den USA zurück. Grüne Rebellen wollen trotzdem hart bleiben. Schulz kündigt Enthaltung an, Ströbele versucht noch zu tricksen
aus New York und Berlin JENS KÖNIG und LUKAS WALLRAFF
Da sage noch mal einer, das Parlament in Deutschland habe keinen Einfluss mehr. Werner Schulz macht gerade Weltpolitik. Bisher war das nicht seine Domäne. Ein einfacher Abgeordneter einer kleinen deutschen Ökopartei zeigt sich ein bisschen hartnäckig, weil er die Verteilung der Lasten bei der Gesundheitsreform für sozial unausgewogen hält, und schon muss Colin Powell in New York beim Essen mit den G-8-Außenministern auf seinen Freund Joschka Fischer verzichten. Der deutsche Außenminister verhandelt ab jetzt nicht mehr, in welchem Tempo die politische Souveränität im Irak auf den dortigen Regierungsrat übergeht – er verhandelt an diesem Freitag nur noch das Schicksal seiner Regierung.
Werner Schulz ist nämlich nicht allein. Mit ihm haben mehrere Abgeordnete von SPD und Grünen angekündigt, dem Gesundheitskompromiss mit der Union bei der heutigen Abstimmung im Bundestag ihre Zustimmung zu verweigern. Damit ist die eigene Mehrheit, die SPD-Fraktionschef Franz Müntefering „unverzichtbar“ nannte, in Gefahr. Wie viele Abgeordnete gegen das Gesetz stimmen werden, war bis zum Abend unklar. Jetzt soll Fischer offenbar die Abweichler noch umstimmen.
Dem Bundeskanzler muss schon im SPD-Präsidium am Montagmorgen geschwant haben, dass ihm das nicht bei allen seinen Genossen gelingen dürfte. Nach dem historischen Debakel bei der Bayernwahl hat Gerhard Schröder seiner Partei, wieder einmal, gedroht. An die eigene Fraktion sprach er eine „Warnung“ aus, wie er es nannte: Jedes einzelne Gesetz der Agenda 2010 müsse mit einer eigenen rot-grünen Mehrheit verabschiedet werden. Das gelte auch für die Gesetze, die, wie die Gesundheitsreform, durch die Zustimmung der Opposition sowieso eine große Mehrheit im Bundestag haben. „Schaffen wir das“, hat Schröder gesagt, „dann ist der Ball im Feld der Union. Schaffen wir das nicht, setzen wir die eigene Regierung aufs Spiel.“ Diese Drohung hat ganz offensichtlich nicht gewirkt. Während der Kanzler und sein Außenminister in New York waren, liefen die Dinge in Berlin aus dem Ruder. Die Zahl der Rebellen stieg. Schröder, der planmäßig früher als Fischer zurückflog, rief seinen Vize persönlich an, aus dem Flugzeug, hoch über den Wolken, und überbrachte ihm die schlechte Botschaft: Bitte sofort nach Berlin kommen.
Schröder setzt auf die disziplinierende Wirkung der Fischer’-schen Übermacht in der grünen Fraktion. Dass Schröder und Fischer mit diesem abrupten Rückzug des Außenministers von der laufenden UN-Generalversammlung die Vorgänge zu Hause erst wirklich dramatisieren – das nehmen sie billigend in Kauf.
Die grünen Rebellen ließen sich von dem Druck von oben – jedenfalls bis gestern Nachmittag – nicht sonderlich beeindrucken. Werner Schulz kündigte an, er werde sich „auf jeden Fall“ enthalten. Daran habe sich auch durch Fischers Rückkehr nichts geändert. Jutta Dümpe-Krüger ließ mitteilen, dass sie „vermutlich bei ihrem Nein bleibt“. Die jugendpolitische Sprecherin hatte schon vor zwei Wochen bei einer internen Abstimmung in der Fraktion als einzige Abgeordnete mit Nein gestimmt. Ob sie dabei bleibt? Dümpe-Krüger wurde gestern zu einem Gespräch mit der Fraktionsspitze gebeten.
Der prominenteste Abweichler, Fraktionsvize Christian Ströbele, taktiert noch. „Wie ich morgen die Karte einwerfe, sage ich nicht“, erklärte Ströbele der taz. Er müsse erst noch „intensive Gespräche“ führen. Ströbele hofft auf einen Deal: Für ein Ja bei der Gesundheitsreform möchte er Zugeständnisse bei den Hartz-Gesetzen herausholen.