: Keine Steinigung
von DOMINIC JOHNSON
Die Verfechter einer Islamisierung des muslimischen Nordteils von Nigeria haben gestern einen empfindlichen Dämpfer erhalten. Das religiöse Berufungsgericht der Stadt Katsina sprach Amina Lawal frei, die 2002 in unterer Instanz wegen Ehebruchs zum Tode durch Steinigung verurteilt worden war.
Begleitet von ihren Anhängern, die seit Monaten in Nigeria und weltweit eine Kampagne für die 36-jährige Frau machen, war Amina Lawal die 180 Kilometer von ihrem Heimatdorf nach Katsina gereist und saß regunglos im Gerichtssaal, als der Freispruch verkündet wurde. Er zieht zunächst einen Schlussstrich um eine Affäre, die Nigerias Ruf in der Welt schwer geschädigt hatte.
Amina Lawal war vergangenes Jahr von Nachbarn in ihrem Dorf Kurami an muslimische Geistliche verraten worden, als sie nach ihrer Scheidung ein Kind gekriegt hatte. Die Bauersfrau hatte sich Ende 2000 scheiden lassen; wenig später ging sie eine Beziehung mit Yahaya Mohammed ein, der in ihrem Dorf lebt. Er habe versprochen, sie zu heiraten, sagte sie später vor Gericht aus. Sie wurde schwanger und gebar Anfang 2002 eine Tochter. Am 4. März 2002 wurden die beiden festgenommen und dem islamischen Richter des nahen Orts Bakori vorgeführt. Amina Lawal war geständig – und wurde zum Tode verurteilt. Yahaya Mohammed hielt sich an das Vorbild Bill Clintons: Er habe mit der Frau ein Verhältnis gehabt, aber kein sexuelles, sagte er; die Anklage gegen ihn wurde fallen gelassen.
Das Todesurteil gegen Amina Lawal erfolgte fast zeitgleich zur Freilassung der ebenfalls zum Tode durch Steinigung verurteilten Safiya Husseini am 25. März 2002, und Amina Lawal löste Safiya Husseini als weltweites Symbol für die Ungleichbehandlung muslimischer Frauen im Norden Nigerias ab. Von Deutschland bis Südafrika begannen Kampagnen und Aufrufe an Nigerias Staatspräsident Olusegun Obasanjo. Der 1999 demokratisch gewählte Staatschef, der sich im Wahlkampf für die Präsidentschaftswahlen vom März 2003 die Sympathien des mächtigen nordnigerianischen Militärestablishments nicht verscherzen wollte, gab jedoch eine schwache Figur ab: Obwohl das Scharia-Strafrecht im Widerspruch zur nigerianischen Verfassung steht, ging er keine Machtprobe mit den 12 Bundesstaaten in Nigerias Nordhälfte ein, die in den Jahren 1999 bis 2001 einseitig das islamische Strafrecht eingeführt und damit religiöse Konflikte geschürt hatten. Er sagte lediglich zu, dafür zu sorgen, dass eine letztinstanzliche Verurteilung Amina Lawals vor dem Obersten Gericht nicht zur Hinrichtung führen werde. Von Seiten der Scharia-Gerichte hieß es daraufhin, die Hinrichtung werde ausgesetzt, solange die uneheliche Tochter noch gestillt werden muss.
Nun hat nicht Nigerias säkulärer Staat Amina Lawals Leben gerettet, sondern ein religiöses Gericht. Richter Yawuri in Katsina erklärte gestern das erstinstanzliche Urteil, das im August in zweiter Instanz vom Gericht Funtua bestätigt worden war, in allen wesentlichen Teilen für ungültig. Der Angeklagten sei nicht richtig erklärt worden, was sie getan haben soll, und auch nicht, welche Konsequenzen mögliche Aussagen vor Gericht haben könnten. Da Aminas uneheliche Tochter gezeugt wurde, bevor im Bundesstaat Katsina das Scharia-Strafrecht eingeführt wurde, könne man die Frau nicht ihretwegen verurteilen. Er hielt sich auch an die bereits in mehreren ähnlichen Fällen in Nigeria vorgebrachte theologische Konstrukt einer „ruhenden Schwangerschaft“, die nach altertümlicher islamischer Religionoslehrer mehrere Jahre dauern kann statt neun Monate, um die Möglichkeit offenzulassen, dass dass Kind sogar noch von Amina Lawals geschiedenem Exmann gezeugt worden sein könnte.
So sehr der Freispruch von Menschrechtsorganisationen begrüßt worden ist, so wenig löst er den fundamentalen Konflikt zwischen Islamisten und Staat in Nigeria. Der Machtkampf zwischen von ehemaligen Militärherrschern unterstützten Islamisten und der demokratisch gewählten Regierung bleibt auch nach Obasanjos überragendem Wahlsieg im März 2003 und der hohen Niederlage seines von den Islamisten unterstützten Gegenkandidaten Mohammed Buhari ungeklärt.
Viele Kommentatoren in Nigerias größter Stadt Lagos rufen jetzt Nigerias Regierung dazu auf, einfach die Todesstrafe zu verbieten und damit einer Wiederholung solcher Fälle einen Riegel vorzuschieben. Denn genau wie im März 2002 die Freilassung Safiya Husseinis vom Todesurteil gegen Amina Lawal begleitet wurde, folgte auf Lawals Freispruch gestern das Bekanntwerden eines neuen Todesurteils. Im Bundesstaat Bauchi wurde der 20-jährige Jibrin Babaji wegen „Sodomie“ zum Tode durch Steinigung verurteilt, nachdem er Geschlechtsverkehr mit drei Männern eingestanden hatte. Die drei sollen je 50-mal ausgepeitscht werden. Todeskandidat Babaji hat einen Monat Zeit, um Berufung einzulegen. Genau wie vor anderthalb Jahren Amina Lawal.
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