Nervenkrieg um Geiselnahme

Tschetschenisches Kommando lässt mindestens 26 Frauen und Kinder frei. Über 300 Menschen bleiben in der Gewalt der Geiselnehmer. Russischer Geheimdienst schließt Befreiungsaktion aus

BESLAN/BERLIN afp/ap/taz ■ Die tschetschenischen Geiselnehmer in Nordossetien haben gestern 26 Frauen und Kinder aus der besetzten Schule in Beslan freigelassen. Andere Berichte sprachen von 31 Entlassenen. Doch immer noch befinden sich über 300 Menschen in der Gewalt der Terroristen.

Russlands Präsident Wladimir Putin versprach, die Regierung werde alles Menschenmögliche tun, um die Geiseln zu retten: „Unsere wichtigste Aufgabe ist es, Leben und Gesundheit der Geiseln zu retten.“ Das Verbrechen richte sich nicht nur gegen einzelne Bürger Russlands, sondern gegen Russland als Ganzes, sagte er.

Über den Stand der Verhandlungen in Beslan wurde nichts bekannt. Die Geiselnehmer verlangen dem Vernehmen nach den Rückzug der russischen Truppen aus Tschetschenien und die Freilassung von Rebellen in der benachbarten Republik Inguschetien. Der russische Geheimdienst schloss eine Befreiungsaktion aus.

„Es wird einen langwierigen und schwierigen Verhandlungsprozess geben“, sagte der Chef des russischen Inlandsgeheimdiensts (FSB) in Nordossetien, Waleri Andrejew. Nach russischen Angaben waren die Geiselnehmer bis zum gestrigen Abend nicht bereit, wenigstens Lebensmittel, Mineralwasser und Medikamente für die Menschen anzunehmen. Die Umstände der Freilassung der 26 Frauen und Kinder am Nachmittag blieben zunächst unklar. Mehrere Geiseln leiden an Krankheiten wie Diabetes.

Eine wichtige Rolle bei der ersten Freilassung soll der frühere Präsident von Inguschetien, Ruslan Auschew, gespielt haben. Er gilt als Kritiker von Moskaus Tschetschenien-Politik. An den Verhandlungen beteiligt ist offenbar auch der Arzt Leonid Roschal, der schon im Oktober 2002 bei der Geiselnahme in einem Moskauer Musiktheater vermittelt hatte. Damals waren nach dem Einsatz von Giftgas durch russische Spezialkräfte 129 der Geiseln und 41 Kidnapper getötet worden.

Die Zahl der Geiseln blieb gestern strittig. Während der Krisenstab vor der ersten Freilassung von 354 Personen, darunter 132 Kindern, sprach, schätzten Angehörige, dass bis zu 1.000 Personen in der Hand der Kidnapper sein könnten. Viele Verwandte verbrachten eine schlaflose Nacht in der Stadthalle von Beslan. Einige Geiseln waren bereits am Mittwoch getötet worden. Die Angaben schwanken zwischen 7 und 16 Personen.

Der UN-Sicherheitsrat in New York verurteilte die jüngste Terrorserie in Russland. Die Bundesregierung forderte die „sofortige und bedingungslose Freilassung der Geiseln“. Außenminister Joschka Fischer erklärte in Berlin, für die Geiselnahme von Schulkindern gebe es keinerlei Rechtfertigung. Bundeskanzler Gerhard Schröder bat um Verständnis für das russische Vorgehen im Kampf gegen den Terrorismus. Schröder war in der rot-grünen Regierungskoalition angegriffen worden, weil er keine Kritik an der offensichtlich manipulierten Präsidentschaftswahl in Tschetschenien geübt hatte. KLH

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