piwik no script img

Archiv-Artikel

Land rettet Schülerlebenszeit

Zum Schuljahresbeginn am Montag kündigt das Schulministerium an, die Ehrenrunde abzuschaffen. Sie sei eine „Verschwendung von Lebenszeit“. Außerdem lassen sich so ein paar Lehrer einsparen

von ANNIKA JOERES

Sitzenbleiber müssen in Zukunft nicht auf ihre KlassenkameradInnen verzichten: Das nordrhein-westfälische Schulministerium erwägt eine „Versetzung auf Probe“, um die hohe Zahl der „Sitzenbleiber“ zu senken. „Profitieren können alle Schüler, die bislang eine Nachprüfung versuchen“, sagte NRW-Schulministerin Ute Schäfer (SPD) am Freitag in Düsseldorf. Für das Land ist die Neuregelung eine Sparidee: Immerhin werden für rund 60.000 KlassenwiederholerInnen jährlich etwa 3.000 LehrerInnen zusätzlich benötigt.

Bei einer Versetzung auf Probe würde die bisherige Nachprüfung entfallen. Stattdessen könnte etwa drei Monate nach Beginn des neuen Schuljahres anhand der allgemeinen Leistungstests endgültig entschieden werden, ob der Schüler oder die Schülerin in der Klasse weiterlernen kann oder doch wiederholen muss, sagte Schäfer. Oft werde ein ganzes Schuljahr wiederholt, weil die Leistungen in zwei Fächern nicht ausreichend seien. „Das ist nicht nur eine Verschwendung von Lebenszeit, sondern auch von Ressourcen.“

Der Verband Bildung und Erziehung findet den Vorschlag zwar „diskussionswürdig“, so ihr Vorsitzender Udo Beckmann. Er befürchtet allerdings, dass das Land mit der Probeversetzung nur seine Lerndefizite kaschieren will. „Für die Sitzenbleiber brauchen wir zusätzliche Kurse und Förderprogramme“, fordert Beckmann. Sie einfach nur in die nächste Klasse mitzuschleifen, sei gefährlich.

In der Tat hat die rot-grüne Landesregierung ein Interesse daran, SchülerInnen möglichst schnell aus der Lehranstalt zu entlassen. Mit dem am Montag beginnenden neuen Schuljahr steigt die Schülerzahl in NRW mit rund 2,93 Millionen auf den höchsten Stand seit 1983. Das sind rund 19.000 mehr als im abgelaufenen Schuljahr.

Langsamer steigt hingegen die Zahl der Lehrer-Planstellen. Sie sei mit dem aktuellen Doppelhaushalt um 1.000 auf rund 145.000 erhöht worden, sagte Schäfer. „Dieser finanzielle Kraftakt ist bundesweit beispiellos.“ Außerdem würden die bereits eingestellten PädagogInnen mehr arbeiten: Immer weniger von ihnen beantragten Teilzeit.

Die Opposition geht von wesentlich mehr fehlenden Lehrkräften aus. „Wir haben einen anhaltenden Lehrermangel“, sagt Ralf Witzel, bildungspolitischer Sprecher der FDP. Auch die CDU bezweifelt die Angabe von Schäfer, nach der 99,8 Prozent aller Stellen besetzt seien. Selbst Schäfer ist sich allerdings nicht ganz sicher: Sie kündigte an, im Oktober offene Stellen an jeder einzelnen Schule zu erfassen. Diese „Schulkonten“ würden bis zum Jahresende öffentlich gemacht.