: Ein Phänomen auf allen Kontinenten
Genossenschaften gibt es ebenso in Ghana wie in den USA und Costa Rica. Sie engagieren sich im Bildungs- und Gesundheitswesen, bei der Müllbeseitigung und im Agrarsektor. Oft springen sie ein, wenn der Staat sich zurückzieht
BERLIN taz ■ Genossen, schafft die Genossenschaft! Weltweit scheint es kaum mehr einen Bereich zu geben, in dem es sie nicht gibt. Das ist nicht völlig unproblematisch: Genossenschaften springen vor allem dort in die Bresche, wo der neoliberale Staat sich zurückzieht und soziale Dienste privatisiert werden.
Schweden ist ein gutes Beispiel dafür, dass Privatisierung auch Vergenossenschaftlichung bedeuten kann. Mehr als 100 Staatsschulen in kleinen Städten, die von Schließung bedroht wurden, sind von Eltern-Lehrer-Kooperativen übernommen worden. 60Prozent aller Tagesstätten, vor allem Kitas, haben sich inzwischen als Genossenschaften organisiert. Genossenschaftliche Kindergärten gibt es aber auch in den USA, Kanada, Malaysia und selbst in Birma. Auch Schulkooperativen sind keine völlig neue Idee. In Indien und Sri Lanka soll es sie schon vor dem Zweiten Weltkrieg gegeben haben, in neuerer Zeit kamen weitere in Großbritannien, Italien und Spanien hinzu. Andere Koops haben eigene Bildungsinstitutionen aufgebaut oder unterstützen Bildungsmöglichkeiten wie in Südafrika, wo Spar- und Kreditgenossenschaften Eltern helfen, die Ausbildung ihrer Kinder zu finanzieren.
Auch Universitäts- und Studentengenossenschaften haben sich in erstaunlich vielen Ländern ausgebreitet. Die erste wurde 1882 als Buchhandelsgenossenschaft von nordamerikanischen Studenten gegründet, die gemeinsam Schulbücher erwarben. In Asien reicht die Geschichte der studentischen Kooperativen ebenfalls ins 19. Jahrhundert zurück. Selbst der bisher so elitäre Forschungsbereich ist vor dem Kooperativgedanken nicht mehr sicher: In Argentinien, Spanien, Italien und Costa Rica haben sich Forschergenossenschaften gebildet, auch in Deutschland gibt es erste Ansätze dafür.
Noch weiter entwickelt ist der Genossenschaftsgedanke im Gesundheitsbereich. Die ersten Gesundheitskooperativen wurden vermutlich in Japan Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet, am Ende des Jahrhunderts nahmen weltweit 39 Millionen Mitglieder gesundheitliche Dienste von Genossenschaften in Anspruch. In Japan schließen sich auch heute noch drei bis zwölf GenossInnen in so genannten Han-Gruppen zusammen und messen sich gegenseitig den Blutdruck oder gehen gemeinsam einkaufen. In Spanien existieren Patientengenossenschaft und Ärztegenossenschaften friedlich nebeneinander. Die größte spanische Ärztekooperative umfasst mehr als 22.000 Mitglieder und betreut etwa 1 Million PatientInnen. Noch größer ist diese Bewegung in Brasilien: Rund 73.000 ÄrztInnen, das ist ein Drittel aller brasilianischen DoktorInnen, sind Mitglied der Unimed-Genossenschaft; sie arbeiten entweder in Gemeinschaftspraxen oder in Netzwerken. Auch in Bolivien, Brasilien, Indien, auf den Philippinen, in Schweden, Senegal, Singapur, Sri Lanka, Südafrika und Tansania gibt es Gesundheitskooperativen. Und in so unterschiedlichen Ländern wie den USA und Ghana haben sich Apothekergenossenschaften oder „Sozialapotheken“ etabliert.
Auch in vielen anderen Bereichen haben sich Genossenschaften ausgebreitet. Im Kredit-, Konsum- und Agrarsektor sowieso, aber auch im Tourismus oder bei der Abfallbeseitigung, bei Schwimmbädern, der Stromversorgung oder im Telefonnetz. Fehlt nur noch eins: die genossenschaftlich organisierte Regierung. USCHE
Die Informationen entstammen einem Aufsatz von Nicole Göler von Ravensburg in dem lesenswerten Buch „Sozialgenossenschaften“, herausgegeben von Burghard Flieger, erschienen 2003 in der Reihe Materialien der AG Spak, Neu-Ulm, 310 Seiten, 19 Euro. Schwerpunkt des Buches: die Vorstellung von Arbeitslosen-, Wohn- und Pflegegenossenschaften in Deutschland.