: Wenn das Gestern ins Heute ragt
Hilde Schramm erhält am Montag den Moses-Mendelssohn-Preis. Dagegen gab es Proteste. Dabei ging es um ihren Vater, nicht um sie. Hart für eine 68-Jährige, die in ihrem Leben viel Gutes tat und tut
VON PHILIPP GESSLER
Es ist schön, Hilde Schramm lachen zu hören. Zugegeben, es ist derzeit etwas schwierig, dieses Lachen zu provozieren: Das liegt an dem Stress vor der Verleihung des Moses-Mendelssohn-Preises, mit dem sie am Montag im Französischen Dom auf dem Gendarmenmarkt geehrt wird – dauernd rufen Journalisten an und wollen was von ihr. Das liegt andererseits aber auch an den schweren, ernsten Themen, die dann zur Sprache kommen: um Schuld und Verzeihen, historische Verantwortung und familiäre Befangenheit. Aber wenn es dann gelingt, Hilde Schramm zum Lachen zu bringen, klingt die 68-Jährige so frisch wie ein etwas giggelndes Mädchen.
Anderen wäre das Lachen vermutlich schon lange vergangen, denn – das muss jetzt hier erwähnt werden – Hilde Schramm wird immer, bei jeder passenden und häufiger unpassenden Gelegenheit, mit der Geschichte ihres Vaters konfrontiert: Es war Albert Speer, Hitlers Architekt für „Germania“, sein späterer Rüstungsminister und verurteilter Kriegsverbrecher. Der Mann, der das Zwangsarbeitersystem im NS-Reich perfektionierte, der mitverantwortlich war für die Verwertung des Eigentums von Juden, die in KZs ermordet wurden. Hilde Schramm ist habilitierte Erziehungswissenschaftlerin, Soziologin und ehemalige Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses. Und wenn es so etwas gibt wie „Wiedergutmachung“, ist sie in diesem Feld seit Jahrzehnten aktiv. Aber was zählt all das, wenn plötzlich die Geschichte ihres Vaters auftaucht?
Das war Ende Juni der Fall, als öffentlich wurde, dass sie den diesjährigen Moses-Mendelssohn-Preis des Senats erhalten sollte. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Albert Meyer, hatte Bedenken. Ort, Zeitpunkt und die Begründung eines Jury-Mitglieds für Hilde Schramm als Preisträgerin stießen ihm auf. Ursprünglich sollte Hilde Schramm den Preis in einer Synagoge anlässlich der Eröffnung der Jüdischen Kulturtage erhalten. Dies und die Tatsache, dass ein Jury-Mitglied als einen Grund für den Preis gerade Hilde Schramms schweres Schicksal als Speer-Tochter anbrachte, ließ Meyer protestieren.
Hilde Schramm zeigte sich keinesfalls verletzt, sondern demonstrierte stattdessen mehrmals öffentlich Verständnis für die Position Meyers und anderer Kritiker. Hier gehe es eben um Gefühle, nicht um die Ratio. Die Vernunft sagt: Gerade zu Hilde Schramm passt der Preis, hat sie sich doch zeit ihres Lebens der historischen Verantwortung der Deutschen wegen der Nazizeit gestellt.
Womit wir endlich bei dem wären, worüber Hilde Schramm zu Recht viel lieber redet und weshalb sie den Preis eigentlich erhielt: Die Preisträgerin ist Mitbegründerin der „Stiftung Zurückgeben“, die „jüdische Frauen in Kunst und Wissenschaft“ fördert. Die Stiftung vergab bisher 30 Arbeitsstipendien und Projektzuschüsse. Sie finanziert sich aus dem Verkauf von Gütern, die früher einmal Juden gehörten und von nichtjüdischen Deutschen in der NS-Zeit billig erworben, besser: erpresst wurden.
Außerdem ist Hilde Schramm seit Anfang des Jahres Vorsitzende des Vereins „Kontakte/Kontakty“, der bisher hunderten ehemaliger NS-Zwangsarbeiter und Kriegsgefangener half. Schließlich engagiert sie sich für eine Begleitausstellung zur Familiengeschichte der Familie Flick neben der geplanten Kunstschau des Sammlers Mick Flick.
Hilde Schramm war in der Friedens- und Frauenbewegung aktiv. Zuletzt leitete sie die Regionale Arbeitsstelle für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule (RAA) in Potsdam. Und noch Anfang vergangenen Jahres war sie, obwohl schon pensioniert, als Landeschefin der Grünen im Gespräch, für die sie in den 80er-Jahren zweimal im Abgeordnetenhaus saß. Sie half mit, dass Christian Ströbele 2002 das erste grüne Direktmandat errang.
Ein Leben im Heute. Eines für Morgen. Dennoch ein Leben, in das das Gestern stets hineinragte. Mittlerweile scheint sie ihren Frieden mit dieser Last geschlossen zu haben. Hört man ihr Lachen, glaubt man das bestimmt.