: Hafenstraße und Ku‘damm
Warum taz und „Bild“ in Wahrheit Deutschlands einzige überregionale Boulevardzeitungen sind, sich „Bild“ trotzdem 100-mal besser verkauft und wie die taz den Vorsprung endlich aufholen kann,weiß HANS-HERMANN TIEDJE
A. trifft B.: „Hast du heute die taz gelesen?“ B. zu A.: „Warum?“
Ja, warum? Diese beiden, Bild und taz, sind Deutschlands einzige erregende qualitative Boulevardzeitungen. Dabei haben sie doch offenbar nichts gemeinsam, als dass sie auf Papier gedruckt werden.
Bild hat eine 100-mal höhere Verkaufsauflage (4 Millionen) als die taz. Dafür gibt es täglich etwa 100 Gründe.
Beide haben kreative und witzige Redaktionen, auch die taz hat manches exklusiv. Bild meldet fortwährend Exklusives, weil die übrigen Medien es ganz schlicht nicht erfahren. Nächste Woche zum Beispiel hoffentlich, wie sich Schröder beim Energiegipfel im Kanzleramt aufführte.
In der taz beginnen fast alle Überschriften links(bündig), bei Bild (die Nachrichten) auch. Sonst alles mittig oder Titel-chaotisch. Bild sagt: „BILD dir deine Meinung“. Der taz-Leser hat sich seine Meinung schon gebildet.
Klar: Die taz wendet sich an die Bewohner der Hafenstraße, Bild wendet sich an die Passanten auf dem Kurfürstendamm. Beide pflegen ihre Schlagzeilen-Tradition. Hier ein paar Headlines, die wir in der taz gerne lesen würden (oder auch gern gelesen hätten). – Ole beißt Schill weg – Saddam hätte Schröder gewählt – Deutsche Linke: Stummer Jubel über Saddams Sturz – Schröder-Wähler: Wir bereuen – Kanzler dreieinhalb Stunden bei Schwarzenegger – taz kauft Tagesspiegel – Angie bietet Merz das Du an (Koch lehnt ab) – Lafontaine erwägt PDS-Kanzler-Kandidatur – 150 Jahre SPD. Zentrale Feier in Telefonzelle – Sommer ade: DGB löst sich auf – Ganz Berlin staunt: Hans Eichel versteht seine Steuererklärung – Nach Bayern-Triumph Edmund von Stoiber nimmt Adelstitel an.
Was haben Bild (Berlin, 18 Seiten) und taz Berlin (28 Seiten) sonst noch gemeinsam? 11 Meldungen und Berichte (Mittwoch-Ausgabe)!
Der Bild-Verlierer heißt bei der taz „was fehlt“. Die entscheidende Frage: Wie kann die taz so gut werden wie Bild? Sie braucht ein erweitertes Redaktionsprogramm. Wichtig: Kein Artikel länger als 5.000 Zeilen. Sofort-Aktion: Leser lesen und verstehen endlich alle taz-Artikel. Tendenz-o-meter: Leser stimmen taz-Berichten zu, bis zu 120 Prozent. Das stärkt das Kollektivgefühl. Neuer Seitentitel für den Wirtschaftsteil. Idee: Hermes (der taz-Leser weiß schon: Das ist der Gott der Kaufleute und Diebe). Unbedingt neuer Teil: taz und Sexxx. Kann man koppeln mit „Leibesübungen“: Wie Verona mit Naddel und Diedää den Leib übten. Auch ein neuer Reiseteil muss her, erste aufregende Geschichte: „So schön ist Nordkorea“. Hinweis für den Säzzer: Statt Deutschland und deutsch nur noch BRD und brdisch. Und einfach mitschmunzeln, falls die Schlagzeile heißt: „Annan sieht schwarz für den Kongo“.
Wenn die taz das nicht beherzigt, sagt mein Freund Hans Peter, bleibt sie bei 40.000 Auflage. Oder sie wird ’ne Beilage von Bild.
Fotohinweis: HANS-HERMANN TIEDJE, 54, war u.a. Bild-Chefredakteur und Kohl-Berater