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Archiv-Artikel

Union streitet über Herzog

CDU-Reformkommission will volle Rente erst nach 45 Beitragsjahren. Krankenkassen sollen über Kopfprämien finanziert und private Unfälle privat versichert werden

BERLIN taz ■ Nach der Regierung hat nun auch die Union ihren Sozialreformstreit. Heute wird ihre Reformkommission unter der Leitung von Altbundespräsident Roman Herzog ihre Vorschläge beschließen, morgen sollen sie vorgestellt werden, seit dem Wochenende werden sie bereits zerpflückt. In der Union beginnt damit exakt der gleiche Streit über den in der Reform versteckten Sozialabbau, wie ihn SPD und Grüne schon lange führen.

Der bisherige Stand der Herzog-Vorschläge, der aber bis zur heutigen Verabschiedung noch verändert werden könnte, ist ungefähr dieser: Die Krankenkassen sollen über ein „Prämienmodell“ finanziert werden, jede versicherte Person also gleich viel einzahlen, der Staat unterstützt dabei sozial Schwächere. Zahnbehandlungen, die Kosten privater Unfälle und das Krankengeld sollen ganz aus dem Leistungskatalog der Kassen verschwinden. „Das ist der Versuch, das Gesundheitssystem über die Kranken zu finanzieren“, kritisierte der Gesundheitsökonom Karl Lauterbach prompt. Die Pflegeversicherung soll über den Kapitalmarkt finanziert werden, die Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern verdoppeln sich allerdings.

Die Rente soll langsamer ansteigen. Norbert Blüms einstiger Demografiefaktor wird zum „erweiterten Demografiefaktor“. Hauptunterschied zu Rürups Rentenplänen: Statt das Alter, in dem man zuerst Rente beziehen kann, einheitlich auf 67 Jahre zu erhöhen, will Herzog, dass man die volle Rente erst nach 45 Beitragsjahren beziehen kann. Wer nur 30 Jahre einzahlt, soll nur eine Mindestrente bekommen, die 15 Prozent über dem Sozialhilfesatz liegt. Auch die Witwenrente für Nicht-Mütter will die Kommission abschmelzen und damit mehr Kindererziehungsjahre finanzieren: Sechs Jahresbeiträge statt bisher drei sollen Erziehende erstattet bekommen. Dafür will Herzog sogar den Schutz der Ehe aus dem Grundgesetz streichen und dafür Familien mit Kindern privilegieren.

Vor allem die Unionslinke stört sich an dem Konzept. Horst Seehofer (CSU), selbst Mitglied der Herzog-Kommission, kritisierte, die Vorschläge würden „das Gesicht der Volkspartei zum Negativen verändern“. Der Chef der Unions-Arbeitnehmergruppe im Bundestag, Gerald Weiß, sagte, das System werde „zum Ausschlachten freigegeben“. Auch im Umkreis von Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) würden Bedenken geäußert, berichtet der Spiegel. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber will ein eigenes Konzept vorlegen – aber erst im nächsten Jahr.

Etwas dringender ist zumindest die Rentenreform wohl schon. Sozialministerin Ulla Schmidt sprach am Wochenende von „Einnahmeverlusten wie lange nicht“ in der Rentenkasse. Mitte Oktober sollen die genauen Zahlen vorliegen, befürchtet wird ein Loch von 4 Milliarden Euro. Die Regierung wird sich dann zu einer „Rentenklausur“ zurückziehen und wahrscheinlich Notprogramme beschließen. Unionschefin Angela Merkel lehnte zwar eine Zustimmung im Bundesrat ab. Diese ist allerdings ohnehin nicht notwendig. HEIDE OESTREICH