:
Föderalismus abschaffen?
NEIN
Föderalismus in seiner heutigen Form ist Ausdruck der Krise des Parlametarismus, nicht seine Ursache. Seine Reform könnte Politik wieder attraktiver machen.
Um das Monstrum abscheulich zu finden, das heute Föderalismus genannt wird, bedarf es keiner politischen Analysen. Ein Familienumzug in Deutschland reicht. Wenn die Tochter innerhalb von drei Jahren dreimal die Schule wechseln muss, weil im einen Bundesland eine längere Grundschulpflicht gilt als im anderen, dann entstehen bei der Mutter doch Zweifel am tieferen Sinn der Kulturhoheit der Länder. Die Vorgänge auf der politischen Bühne tragen auch nicht dazu bei, den Föderalismus lieben zu lernen: Blockadepolitik im Bundesrat, ein würdeloses Spektakel bestehend aus Erpressungen, Verlockungen und Drohungen bei einer Vielzahl zustimmungspflichtiger Gesetze sowie eine Verflechtung zwischen Bundes-und Landesebene, die zur Erstarrung der Verhältnisse führt: Was bringt uns eigentlich der Föderalismus heute noch, außer Scherereien? Warum nicht gleich seine Abschaffung fordern?
Weil der Föderalismus in seiner heutigen Form ein Ausdruck der Krise des Parlamentarismus ist, nicht seine Ursache. Das Interesse an Politik schwindet, die Distanz zwischen Regierenden und Regierten wächst, die Wahlbeteiligung sinkt. Die Gründe dafür sind komplex, aber sie lassen sich auf einen einfachen Nenner bringen: Immer weniger Leute glauben, durch aktive Teilnahme am politischen Prozess – und bestünde diese auch nur in der Stimmabgabe – tatsächlich Einfluss auf das Geschehen nehmen zu können. Die Kontrolle über die eigenen Angelegenheiten, das Kernanliegen der Demokratie, entgleitet der Bevölkerung. Diese Kontrolle lässt sich aber nicht durch eine Stärkung zentralistischer Tendenzen wieder gewinnen. Im Gegenteil.
Einer ernsthaften Reform des Föderalismus stehen keine unüberwindbaren Hindernisse im Weg. Nicht einmal die Verfassung muss geändert werden, um die Aufgaben zwischen Bund und Ländern neu zu verteilen. So liegt die hohe Zahl zustimmungspflichtiger Gesetze vor allem an den administrativen Regelungen vieler Novellen. Blieben diese Regelungen den jeweiligen Landesgesetzgebern überlassen, wäre ein großer Schritt hin zur Entflechtung von Bundes- und Landesebene bereits getan.
Das permanente Ringen um die Zustimmung des Bundesrates erweckt den Eindruck, die Stellung der Länder werde durch die gegenwärtige Praxis gestärkt. Dieser Eindruck ist falsch. Die Bundesländer haben ihrer eigenen Entmachtung zugestimmt: Die weitaus meisten Verfassungsänderungen erweiterten schleichend die Kompetenzen der Bundesebene. Die Länder haben dabei mitgespielt, weil sie stärker als vorher in den Genuss finanzieller Leistungen des Bundes kamen und außerdem an der Bundesgesetzgebung mitwirken durften. Geld und die Befriedigung von Eitelkeiten sind mächtige Verführer. Aber in Zeiten leerer Kassen wird der Preis auch von vielen Landespolitikern für allzu hoch gehalten. Die Verlagerung von Regelungskompetenzen auf den Bund bedeutet nämlich auch, dass die Länder bezahlen müssen, was der Bund anordnet. Ein teures Vergnügen.
Sinnvolle Vorschläge für eine Reform des Föderalismus gibt es genug: Rückgabe von Kompetenzen des Bundes an die Länder, Verringerung der Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze, Erweiterung des Gesetzgebungsrechte der Länder für Steuern, deren Ertrag ihnen allein zufließt wie zum Beispiel die Erbschaftssteuer und ein stärkerer Wettbewerb zwischen den einzelnen Bundesländern. Was spricht dagegen? Leider nicht nur eine Fülle von Interessenkonflikten, sondern auch die Trockenheit der Materie. Sie verhindert, dass sich eine breite Öffentlichkeit für das Projekt der Föderalismusreform interessiert. Das ist schade. Denn im Erfolgsfall könnte die Strahlkraft beträchtlich sein – und Politik endlich wieder attraktiver machen. BETTINA GAUS