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Archiv-Artikel

Das bringt Roland Koch

Ein Kanzlerkandidat empfiehlt sich: Das hessische Sparprogramm „Operation Sichere Zukunft“ ist die effizientere Version von Helmut Kohls „geistig-moralischer Wende“

Koch wirkt, als habe man ihn 1958 im Taunus eingefroren und 2001 in Wisconsin aufgetaut

Eine Massenbewegung sieht anders aus. 250 Menschen demonstrierten letzte Woche an der Frankfurter Hauptwache gegen den Sparkurs der hessischen Landesregierung. Bei Schlingensiefs „Church of Fear“ waren mehr Leute auf den Beinen, auch war die Stimmung besser. Es gibt Aufregenderes als Proteste gegen staatliche Kürzungen. Popgestützte Happenings gegen hooliganöse Populisten wie Haider oder Schill versprechen mehr Glamour. Verglichen mit dem Aufschrei, der durch Deutschland ging, als Ronald Schill zum Hamburger Innensenator aufstieg, ist die Aufregung um das „Sparpaket“ der CDU-Regierung erst recht außerhalb Hessens kaum vernehmbar.

Dabei sind die Folgen des in schönstem Orwell-Newspeak „Operation Sichere Zukunft“ genannten Katalogs dramatischer als Brechmittel gegen Junkies und russisches Giftgas gegen Ladendiebe. Roland Koch exerziert in seinem Bundesland schon mal jenen Umbau der Gesellschaft, der Restdeutschland nach der nächsten Bundestagswahl blüht. Angedroht hatte er das vor zwei Jahren bei seiner Reise nach Wisconsin. In Hessens Schwesterstaat konnte binnen zehn Jahren die Zahl der Sozialhilfeempfänger um sagenhafte 97 Prozent reduziert werden. Die Behörden schufen neue Billigstlohnjobs etwa in der Straßenreinigung und deklarierten praktisch jeden Job als „zumutbar“ – andere nennen das Zwangsarbeit. Das Modell Wisconsin möchte Koch nach Hessen übertragen: „Lasst uns in einem Bundesland, für das ich Verantwortung trage, die Erfahrungen der Amerikaner ausprobieren“, forderte Koch in der Ostpreußenzeitung. Mit der „Operation Sichere Zukunft“ macht der Kanzleraspirant Ernst.

An „Subventionen und freiwilligen Leistungen“ sollen 120 Millionen Euro eingespart werden. Die Streichliste liest sich wie eine Arithmetik des Rollback, das Rechenexempel eines „kulturellen Umbaus der Gesellschaft“, so Irmtraut Weissinger, Frauenbeauftragte des Evangelischen Regionalverbandes. Wer in der Datei „Operation Sichere Zukunft“ unter www.hessen.de den Suchbegriff „Frauen“ eingibt, schaut in die Zukunft von Frauenbeauftragten im Speziellen und Frauen im Allgemeinen: Zuschüsse für Frauenhäuser sinken um ein Drittel, Frauenbildungsprojekte werden nicht mehr gefördert. Für „Maßnahmen zum beruflichen Wiedereinstieg von Frauen“ werden 2003 noch 1,385 Millionen aufgewendet. „Nach der Operation Sichere Zukunft: 0.“ Die knapp 1,4 Millionen Euro verteilten sich auf sage und schreibe 90 Einrichtungen, kleine Projekte, mitgetragen von Ehrenamtlichen und Freiwilligen, die ohne finanzielle Hilfen nicht überleben können. Diese Infrastrukturen werden zusammenbrechen.

Die sozialpolitisch erzwungene Rückbesinnung der weiblichen Bevölkerung hätte positive Nebenwirkungen auf Arbeitslosen- und Sozialhilfestatistiken. In Abwesenheit einer nennenswerten Opposition desavouiert Koch gesellschaftliche Errungenschaften und soziale Sicherungen, die eines gemeinsam haben: Sie weisen zurück ins Jahr 1968. Man kann die Operation Sichere Zukunft getrost als vorläufigen Höhepunkt eines persönlichen Feldzuges verstehen. Der Mittvierziger Koch blickt auf eine 30-jährige Politikerlaufbahn zurück, die längste Zeit davon in putativer Notwehr gegen die kulturelle Hegemonie der Post-68er-Milieus mit ihren Lobbys und Netzwerken. Jetzt wird zurückgeschlagen: keine Subventionen mehr für Pro Familia, Eingliederung von Behinderten, soziale Brennpunkte, Elternberatungsstellen, straffällige junge Menschen, Analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie, Betreuung ausländischer Arbeitnehmer und so fort.

Zur Durchsetzung eines paradigmatischen Backlashs, der wie eine entschlackt-effiziente Version der „geistig-moralischen Wende“ seines politischen Idols Helmut Kohl daherkommt, inszeniert sich Koch als – ja, das Wort muss kommen – brutalstmöglicher Der-Realität-ins-Auge-Seher: It’s a dirty job but someone’s gotta do it. Der Mann tut was, wo die andern nur reden: „Es gibt kein Recht auf Faulheit“ (Gerhard Schröder). „Wer arbeitet, ist der Dumme“ (Spiegel-Titel, letzte Woche). Der zwangsmasochistische Sound der Spar-Charta klingt wie ein Echo der Wirtschaftswunderjahre, wie überhaupt der ganze Koch so wirkt, als habe man ihn 1958 im Taunus eingefroren und 2001 in Wisconsin aufgetaut: „Ärmel aufkrempeln“, ruft es aus ihm und, oh, Genuss der Entsagung: „Gürtel enger schnallen“.

Enger geschnallt und schärfer gezogen werden die Ränder der Gesellschaft, das ist in dankenswerter Klarheit dem ungeschönten Technokratensprech der Tabelle zu entnehmen: „Betreuung von Obdachlosen, Nichtsesshaften und sonstigen Randgruppen: 2003: 1.49 Mio – nach der Operation Sichere Zukunft: 0.“ Operation gelungen, Patient tot. Gut für die Obdachlosenstatistik.

Soziale Netze werden zerschlagen, die Klientel gehegt: Im Stammland ihrer Cheflobbyistin Erika Steinbach werden die Vertriebenenverbände trotz biologisch bedingt rückläufiger Mitgliederzahlen weiter üppig subventioniert. Eine Viertelmillion Euro erhält der Frankfurter Pferde-Rennclub, eine alte Connection aus der Schwarzgeld-Economy. Das Museum für Sepulkralkultur wird ebenso großzügig gefördert wie ein Center for Financial Studies.

Nach US-Vorbild garniert die CDU die „sichere Zukunft“ mit Anleihen beim Kommunitarismus, einem „Social day“ etwa, an dem sich Privatpersonen und Firmen einmal im Jahr ehrenamtlich engagieren. Eine amerikanische Idee wie der Kommunitarismus der gated communities in ihren von privaten Sicherheitsdiensten bewachten Siedlungen, ein Kommunitarismus der Eliten, wo der Mann so viel Geld nach Hause bringt, dass sich die Gattin nach getaner Hausfrauenarbeit noch ein bisschen christliche Nächstenliebe gönnen kann, wie sich das auch für Politikerfrauen gehört.

Sein Feldzug wendet sich gegen das Milieu der Nach-68er. Unter ihnen hat er lang genug gelitten

Öffentliche Auftritte der Politikerfrau Koch sind rar. So könnte es ein seltener Moment des Kontrollverlusts gewesen sein, als Journalisten der Ministerpräsidentengattin einen Kommentar zur Familienpolitik entlockten: Sie wolle nicht, dass ihre Söhne Politiker werden. Es sei schlimm genug, dass sie ohne Vater aufgewachsen seien.

Komplett gestrichen wird die Schuldnerberatung. Sozialdarwinistische Leistungsideologien erleben ein Revival, Arme werden der gesellschaftlichen Ächtung preisgegeben, während Koch die weniger Armen gegen Diskriminierung in Schutz nimmt. Gewerkschafter wie Ver.di-Chef Bsirske wollten besser verdienende Deutsche am liebsten mit dem Judenstern ächten, erklärte der Christdemokrat im letzten Wahlkampf. Nach empörten Reaktionen entschuldigte sich Koch bei Bsirske. Nicht um Entschuldigung bat er Träger des Judensterns, die von deutschen Christen ermordet wurden. Seinen Umfragewerten schaden solche Eklats nicht. Das weiß Koch, seit er im hessischen Spendenskandal ungestraft „jüdische Vermächtnisse“ erfinden konnte, aus denen Geld in CDU-Kassen geflossen sei. KLAUS WALTER