: Im Bestiarium perversum
Was ist los im Berliner Naturkundemuseum? Eine Wahrheit-Reportage
Hurra! Endlich stehe ich vor der weltweit bedeutendsten naturhistorischen Forschungsstätte! Nach langen Jahren quälenden Desinteresses werd ich heuer mal reinluchsen in diese Sammlungen romantischer Dinoskelette und Meteoriten, uralter Spinnen, Kreidezeitspatzen und Affen von anno pillepup. 25 Millionen Hingucker beherbergt das Museum, darunter das Fossil des Urvogels Archaeopteryx und ein Komplettskelett des weithin ausgestorbenen Brachiosaurus.
Ich las von den Nöten des Museums, dem Wildrattenfundus, den ins Internet lancierten Spendenaufrufen, der kaputten Heizung. Doch im Eingangsbereich deutet nichts auf die Probleme hin, im Gegenteil: Blutwarmer Wind peitscht durch den Holzlattenbau, spielt mit den ausgehängten Fenstern und schlägt die letzten Scheiben zu Bruch. An der Pförtnerloge zeige ich meinen Presseausweis. Kaum hundert Jahre dünkt die Dienst schiebende Rentnerin, doch zieht sie ihren Krückstock mit der Anmut eines Nilpferds: „100 Reichsmark oder tot!“, krächzt die demente Hexe, zupft an ihrer Beinwolldecke und schläft weiter.
Bewegung kommt nun ins Skelett des das Foyer adelnden Jura-Bergzebras: Am Schwanzwirbel der Weltrarität tauchen Hände auf, dann schwingt sich jemand auf intakte Planken des scheint’s porösen Bodens und kommt im Erdgeschoss zu stehen: „Gestatten, hicks, Zeller-Rippel, Mu-Museumsleiter.“ Schon aber strauchelt die Koryphäe, reißt das Zebra mit sich und poltert zurück in die Tiefen des Untergeschosses. Dort befindet sich der legendäre „Fischsaal“. Andächtig hüpfe ich dem Forscher hinterher und bin sofort umringt von diesen tausenden Regalmetern, allesamt gefüllt mit in Alkohol schwimmender Fauna aus der Ära der Humboldts: „Rochen, Indien 1734“, „Karpfen, Fulda 1856“, „Bushmills, Irland 1993“ …
„Warum ist in manchen Gläsern kein Urfisch?“, frage ich den neu erstarkten Wissenschaftler. „Alle ertrunken, huhu“, weint der Krokodilstränen, dann hellt sich sein Miene psychosenschnell auf: „Kommen Sie, ich zeige Ihnen die Paläontologie!“ Und, mitten in mein fragendes Gesicht: „Die Dinos, du Hauptschüler.“ – „Wie belieben?!“ – „Die Dinos, du Hauptschüler!“
Erregt steigen wir über zerbrochene Gläser und verfaulende Wissenschaftler quer durch den Fischesaal zum Topevent des Museums: der Saurierhalle. Mit ihren über 30 Skeletten ist sie als Wohnraum für faschistoide Kleinfamilien weiß Gott ungeeignet – zumal, wie der nun übernehmende Doktorand Roth beweist, das Dach fehlt: Mit einem kurzen Handgriff reißt er dem millionenschweren Archaeopteryx den letzten Flügelknochen ab und pfeffert ihn gen Himmel, in einer nahen Krüppelkiefer bleibt er hängen – 1:0 für den Borderline-Darwin! Der nun in den herumliegenden Knochenhaufen stochert, hysterisch aufkreischt und mir einen Säbelzahn des kniffeligen Ur-Störs an die Kehle hält: „Spende her, Wessi, oder du landest im Bushmills!“ Eine überfällige Drohung, auf die ich mit der Schenkung von gesamt 1,13 Euro reagiere, als ausgerechnet Regen einsetzt! „Auch das noch!“, fuchtelt Roth. „Fossilien hassen Nässe! Treten Sie dem Wisent in die Eier, aber dalli!“
Dalli trete ich einem rückwärtig postierten Wisent in die Eier – ja halali! Die Ausstopfung lebt! Macht den projektierten Satz nach vorn und bringt eine an ihn gekettete Maschine in Bewegung: Es knirscht frühindustriell, Hebel heben und senken sich, zu Seilen geknüpfte Bettlaken streben wundersam gen Himmel – schließlich schweben sieben Flugsaurierskelette mit toprekonstruierten Federschwingen oder besser eingenähten Regenschirmen taumelnd über den Fossilien! Dann freilich fährt eine Böe in die Laken, entlässt die Saurier in den sturmgrauen Himmel der Hitlerzentrale – aber Roth kann auch anders: „Plan B! Duck dich, Reporter!“ Sekunden später zündet Roth eine Bombe, die den Platz begrenzende Holzwand birst in Stücke – und allerlei Steine purzeln heraus und auf die Dinoknochen.
Ehrfürchtig sinke ich auf die Knie. Denn das muss sie sein – die vor 200 Jahren begonnene größte Mineral- und Meteoritensammlung der Welt! Viertausend Steine, hübschfein geordnet nach dem kristallchemischen System von G. Rose oder wem, darunter ein Leckerbissen von Kriegsgott Mars – „Nu’ schmeißen Sie schon!“ Eilig schmeißen wir die Kilobrocken auf die Knochen. „Gehen denn die Saurier so nicht putt?“, frage ich. „Besser putt als nass und putt“, schnarrt der Irre, dann guckt er sterbenstraurig: „Schade um das Welterbe. Nein, war nur Spaß! Essenfassen! Auf ins Zoologische Institut!“ 1884 gegründet und dank seiner Typenexemplare und systematischen Monografien einst ein Anlaufspunkt auch internationaler Tüftler, konzentriert es sich heute auf Kaninchenzucht: Immerhin vier dürre Wesen teilen sich den fernsehgroßen Pappstall mit einem Affenmenschenpräparat; daneben brodelt auf offenem Feuer ein umgedrehter Stahlhelm vor sich hin. Hungrig schaue ich hinein: Karnickel an Homo-australicus-Wade – olé, mein Leibschmaus! Während Roth mit Salzsäure abschmeckt, schreit Museumsleiter Zeller-Rippel nach der Pförtnerin: „Mutti, aufwachen! Hammhamm!“ VERA LINDINGER
Ihre Spende überweisen Sie aber noch heute an die Berliner Bank, BLZ 100 200 00, Konto 4 388 888 700, Kennwort: Naturkundemuseum.