: Ruhm, Respekt und fehlendes Risiko
Was für eine Herausforderung: Der Filmregisseur Christian Petzold huldigt der Schauspielkunst am Deutschen Theater in Berlin mit Schnitzlers Künstlerdrama „Der einsame Weg“
Das Licht schmerzt in den Augen. Es wird von den hellen, nach hinten schmal zulaufenden Wänden reflektiert, die der Bühnenbildner Henrik Ahr für Christian Petzolds Inszenierung von Arthur Schnitzlers „Der einsame Weg“ gebaut hat. Wer hier auftritt, hat nichts als seinen Körper und die Sprache. Das Licht umreißt seine Konturen nicht nur hart, sondern macht sie auch klein. Keine Tricks, keine Illusionen, nur hohe Schauspielkunst! Was für eine Herausforderung. Mit großem Ausrufungszeichen setzt diese Bühneninstallation ihren Respekt vor dem Theater und den Schauspielern in Szene. Und weil alle wissen, dass hier ein Regisseur des Kinos agiert, wirkt das wie Streicheleinheiten für die Seele der Institution.
Die Sehnsucht nach großer Kunst: Sie ist umtriebig zu Gange an diesem Abend im Deutschen Theater in Berlin. Denn „Der einsame Weg“ ist von Schnitzler angelegt als eine Abrechnung mit dem Weg des Künstlers, der Unabhängigkeit statt sozialer und familiärer Verbindlichkeit wählte. Am Beginn des Stücks liegt die Zeit der Entscheidungen über zwanzig Jahre zurück. Und jeder, der auftritt, leidet an den Folgeschäden dieser Vergangenheit. Was sie an Versprechen von großer Zukunft enthielt, hat sich als kleiner, mit dem Tage verrauschter Ruhm entpuppt. Geblieben ist Einsamkeit. Die irgendwie zu korrigieren und das Paket der Beziehungen neu zu schnüren, das ist der Kampf, bei dem wir zusehen dürfen.
Felix (Alexander Khuon) und Johanna (Nina Hoss) treten zuerst in das Licht, das sie scharf wie ein Objektträger umreißt. Sie sind die zweite Generation, die Kinder, die für die Sünden der Eltern, von denen sie am Anfang des Dramas noch nichts wissen, büßen. Aber die verdruckste Sprache ihrer Körper, das Gehemmte und Weltfremde in ihrem Gestus, lässt an ihrem Status als Opfer keinen Zweifel. Der Mut zu leben, das ist es, was ihnen vorenthalten wurde.
Wie es dazu kam, enthüllt das Drama nur langsam. Erst ist nur von einem Gemälde die Rede, das ein damals mit Hoffnung betrachteter Maler von einer mit Hoffnung betrachteten Schauspielerin malte. Dem Maler Julian Fichtner (Ernst Stötzner) und der Schauspielerin Irene Herms (Almut Zilcher) begegnet man im zweiten Akt, trostlos in den Resten der Vergangenheit stochernd. Sie sind beide gut darin, den Selbstbetrug des anderen zu erkennen, nicht aber den eigenen. Sie träumt sich die Vergangenheit schön, fantasiert von einem gemeinsamen Kind, das es nie gab. Er kokettiert mit dem Gedanken, sich doch noch Felix, seinem heimlichen Sohn, als Vater zu erkennen zu geben. Um jetzt, wo es mit Kunst und Karriere aus ist, wenigstens noch in Familie zu machen.
„Die Egoisten“ wollte Schnitzler sein zwischen 1900 und 1903 geschriebenes Stück eigentlich nennen und notierte: „Ich verurteile mich gewissermaßen zum Tode –, um mich außerhalb des Stücks umso sicherer begnadigen zu können.“ Der Autor war sich bewusst, dass er mit dem Größenwahn und der Eitelkeit des Künstlers nicht nur hart ins Gericht ging, sondern auch kokettierte mit der Schonungslosigkeit seines Blicks. Sein Stück hätte auch das Zeug zur Farce, zum Überziehen der Gesten von gepflegtem Selbstschmerz und Selbstbetrug.
Aber diesen Weg nimmt Christian Petzold bei seiner ersten Regiearbeit fürs Theater nicht. Er geht mit Schnitzlers Figuren um wie mit denen, die er sich für seine Filme selbst entwickelt hat: Und das ist eine für das Theater heute ungewöhnlich ernste, ironiefreie und texttreue Haltung. So gewissenhaft einerseits dem Text gegenüber und so vertrauensvoll andererseits allein auf die Schauspieler zu setzen, trauen sich die Theaterleute kaum; nicht zuletzt aus der Angst, gegenüber dem Kino mit einem theaterspezifischen Mehrwert aufwarten zu müssen. Von diesem Druck ist Petzold frei und erweist so den Traditionstugenden des Theaters seine Referenz.
Das bekommt etwas von einem Musterschülergestus. Er lässt sie bewundern, die Qualität des ernsthaften Schauspiels. Einzig Ernst Stötzner entzieht sich mit gewohntem Understatement und trockenster Diktion ein wenig diesem völligen Aufgehen in der Rolle. Und lässt damit wenigstens ahnen, dass mit dieser Inszenierung das Theater nicht neu erfunden wurde.
KATRIN BETTINA MÜLLER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen