: Vor seinem Tod ist der Tiger am wildesten
Einzeln sind sie unausstehlich, gemeinsam unschlagbar: „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ und andere Blockbuster feiern den Teamgeist. Unverzichtbar ist dabei eine Figur wie der von Sean Connery verkörperte Allan Quatermain: Als Seniorchef hält er das Kollektiv der Helden zusammen
von DIETMAR KAMMERER
Soloaktionen sind out, Teamwork ist in. Musste Bruce Willis in den Neunzigern in der „Stirb langsam“-Reihe skrupellose Schurken und größenwahnsinnige Gangster im Alleingang beseitigen, so gilt heutzutage von der „Matrix“-Reihe der Wachowski-Brüder über Bryan Singers „X-Men“ bis hin zu Peter Jacksons „Herr der Ringe“: Der Starke ist am mächtigsten nicht mehr allein. Gegen das Übel in der Welt geht man mindestens zu dritt vor – schon allein deshalb muss die „Matrix“-Heldin an der Seite von Neo und Morpheus den Namen „Dreieinigkeit“, Trinity, tragen – oder besser gleich im Verein wie die X-Men oder deren Victorian-Age-Verwandte, die „Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“.
Dieses jüngste Superhelden-Spektakel versammelt eine Allianz von Figuren aus der populären Fantasie des 19. Jahrhunderts. Allan Quatermain trifft auf Dorian Gray, Captain Nemo kämpft Seite an Seite mit Tom Sawyer gegen einen Superschurken, der sich „Das Phantom“ nennt, mit einer Opernmaske herumläuft und den Weltfrieden bedroht. Bond in der Zeitmaschine: Die Rolle des Anführers dieser spätviktorianischen Krisenspezialkräfte hat niemand anderes als Sean Connery übernehmen können. Die Comicvorlage stammt von Kevin O'Neill und Alan Moore, der schon im Jack-the-Ripper-Comic „From Hell“ die Mythen und Legenden um eine Figur des spätviktorianischen Zeitalters in ein postmodernes Spiel aus Zitat und dessen Brechung überführte. Regisseur Stephen Norrington („Blade“) hat den Comicstrip in routiniert inszeniertes Schauwerte-Kino umgesetzt, in dem alle europäischen Städte von Venedig über Paris und Berlin bis London genau gleich aussehen: mit Gaslicht in nebliges Graublau getauchte enge Gassen und schiefe Häuser. Die sieben Mitglieder der Liga verfügen alle über ihre besonderen Talente, wobei sich Comicadaption und Film gegenüber den literarischen Vorlagen einige Freiheiten herausnehmen: So ist Tom Sawyer ein Geheimagent im Dienste des amerikanischen Secret Service, und anders als bei Bram Stoker wurde Mina Harker vor dem Grafen Dracula nicht gerettet, sondern fristet ein unsterbliches Dasein als Vampirin. Aber hier haben alle ihre Macken: Dr. Jekyll ist entweder ein schüchterner Schwächling oder als Mr. Hyde ein unkontrollierbares Monster, Captain Nemo misstraut als Asiat dem britischen Empire im Allgemeinen und Quatermain im Besonderen, und der Unsichtbare Mann ist ein Langfinger.
Einzeln sind sie unausstehlich, doch gemeinsam sind sie unschlagbar. Gegen derart geballte Gruppendynamik erscheint ein traditionelles Ein-Mann-Unternehmen zur Rettung der Welt wie James Bond als Auslaufmodell. Vermutlich ist es nicht nur der Emanzipation oder dem modischen Trend zur hinterntretenden Amazone zu verdanken, dass der britische Geheimagent in seinen jüngsten Abenteuern tatkräftige Unterstützung durch den weiblichen Sidekick erhält, der in den früheren Filmen bloß zum Retten und zum Verführen da war. Was Unternehmensstrategen schon lange predigen: Der Trend geht eindeutig zur Teamarbeit.
Solche Multi-Character-Inszenierungen verdanken sich unter anderem natürlich produktionstechnischen Gründen. Wo die Budgets explodieren, müssen auch die Strategien der Vermarktbarkeit vervielfältigt werden. Eine Folge davon ist der Mix von Stilen, Genrekonventionen und visuellen Codes, der aus den Filmen wie „Matrix“ oder „X-Men“ Gemischtwarenläden mit Angeboten aus Sci-Fi, Fantasy, Comic, Heldenepos, Abenteuergeschichte und Philosophieseminar macht. Eine andere Folge ist die Übernahme des im Fernsehen erfolgreich erprobten Soap-Formats. Wenn Kinoevents wie die „Herr der Ringe“- oder „Harry Potter“-Reihe jedes Jahr zum gleichen Zeitpunkt gestartet werden, so ähnelt dies dem Warten auf die nächste Folge der Lieblings-Fernsehserie. Bloß, dass man nicht eine Woche, sondern gleich ein ganzes Jahr warten muss.
Aber gänzlich scheint sich das Kino von dem Prinzip des besonderen einen nicht verabschieden zu wollen. Neben der messianischen Figur des auserwählten Erlösers, der in den Sciencefiction-Szenarien von „Terminator“ oder „Matrix“ genauso zu finden ist wie in den Fantasy-Welten von „Herr der Ringe“ oder „Harry Potter“, spielt im aktuellen Serien-Blockbuster-Kino noch eine andere Figur eine dominante Rolle: die väterliche moralische Instanz, der Patriarch der kämpfenden Truppe. Denn wenn auch auf der Leinwand das Prinzip Musketier herrscht – einer für alle, alle für einen –, so kann dieser eine oftmals überraschend genau benannt werden: Er ist männlich, älter als die anderen, und er ist es, der das Kollektiv zusammenhält. Wie die Angels nichts ohne ihren Charlie wären, so scharen sich die X-Men um Professor Xavier oder die Ringgefährten um Gandalf, den Magier. Und erst nachdem Allan Quatermain aus seinem beschaulichen kolonialafrikanischen Exil herausgebombt worden ist, kann die Liga zueinander finden.
Diese Figur im Zentrum der Helden-Vereinigung ist mehr als ein Anführer gegen eine externe Bedrohung. Sie ist der moralische Ruhepunkt, der die Konflikte und Probleme, die sich in der Gruppe anhäufen, austarieren muss. Wo sich die Besten der Besten versammelt haben, kann die Gefahr selbst beim übermächtigsten Gegner nicht mehr von außen kommen. Sie lauert im Innern, in der Form der Infiltration oder des Verrats. So bricht nach dem Ausscheiden Gandalfs am Ende der ersten „Ring“-Folge der Zusammenhalt der Gefährten ziemlich rasch in sich zusammen. Außergewöhnlich an den sechs Gentlemen und einer Lady in Norringtons „Liga“ ist vor allem, dass es ihre höchst eigenwilligen Mitglieder überhaupt so lange miteinander aushalten. Quatermain hat alle Hände voll zu tun, das gegenseitige Misstrauen zu kompensieren und alle zur Zusammenarbeit anzuhalten. Mehr denn je lernt man heute im Kino seinen Teil über „team work“ und „leadership responsibilities“. Der Widerspruch zwischen sozialer Verantwortung und individueller Freiheit wird nicht mehr wie im Western gelöst, wo der einsame Held nach getaner Arbeit der Gesellschaft einfach den Rücken kehrte. Das starke Individuum wird nach wie vor geschätzt. Aber es muss sich in die Gruppe integrieren und den Anweisungen folgen.
Das darf nicht mit soldatischem Gehorsam verwechselt werden. Für Aufgaben im Weltrettungsmaßstab müssen die Werte des Militärs mit denen der Familie kombiniert werden. Die starke Verbindung der Egoisten ist nicht durch Unterwerfung, sondern nur durch väterliche Autorität zu erreichen. Das hat zu einem außerordentlichen Boom an Rollenangeboten für männliche Schauspieler jenseits der sechzig geführt. Ob Ian McKellen als Gandalf in „Herr der Ringe“, Patrick Stewart als Professor Charles Xavier für die „X-Men“, Richard Harris als Albus Dumbledore in „Harry Potter“ oder Sean Connery als Allan Quatermain in der „Liga“ – nie waren so viele altgediente Charakterdarsteller im Blockbusterkino zu sehen wie dieser Tage.
„Old tigers sensing their end are the most fierce“, heißt es lapidar zur Begründung, warum ausgerechnet der eigentlich in den Ruhestand getretene Quatermain, statt in seinem britischen Club in der Hitze Afrikas bei einem Gin dem Ende des Empire entgegenzudämmern, die Mission zur Verhinderung eines Weltkrieges anführen soll. Zwar wiegelt der zu Beginn das Ansinnen, wieder in die Dienste der britischen Krone zu treten, noch ab: „I am not the man I once was.“ Nur um gleich darauf zu beweisen, dass der größte Abenteurer aller Zeiten sich nicht als lebende Legende im Ohrensessel bestaunen lassen will, sondern immer noch in der Lage ist, eigenhändig ein schwer bewaffnetes Killerteam ins Jenseits zu befördern. Never say never again.
Die Arbeitsteilung ist klar geregelt. Die Alten liefern das Hirn, die Jungen die Muskeln. Von einem Aufstand der Söhne gegen die Väter fehlt in diesen Filmen jede Spur. Wenn es um die Rettung der Welt geht, arbeiten die Generationen so harmonisch wie nur selten zusammen. Was für Freud noch eine kulturelle Konstante darstellte – die Horde der Söhne beseitigt den tyrannischen Vater –, wird in den Fantasy- und Sciencefiction-Spektakeln dieser Tage komplett ignoriert. Oder genauer: Es wird auf eine besondere Weise verschoben. Denn die Vaterfigur muss immer noch sterben, allerdings nur, um am Ende des Films oder in der nächsten Folge wieder aufzuerstehen, wie es auch das letzte Bild von Norringtons „Liga“ andeutet. So wie sie sich auf merkwürdige Weise zugleich innerhalb und außerhalb der Gruppe befinden, stehen diese Überväter jenseits des Zyklus von Leben und Tod. Das macht sie zu einer paradoxen Kombination: menschlich und übermenschlich zugleich, ein Vater, der sein Leben für seine Söhne hingibt, um nach dem Tod mächtiger denn je wieder aufzuerstehen wie Gandalf in „Herr der Ringe: Die zwei Türme“.
Denn bei aller langbärtig-großväterlichen Güte und allem team spirit sind sie die wahrhaften Einzelgänger der Gruppe. Egal ob das, was sie von den anderen absondert, ihre Vergangenheit, ihr besonderes Schicksal oder ihr spiegelbildliches Verhältnis zum Gegner ist, immer überlebt in den Anführern etwas vom einsamen Helden eines vergangenen Genres wie dem Western. Kein Wunder, dass diese Rollen an die Alten gehen.
„Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“. Regie: Stephen Norrington. Mit Sean Connery, Stuart Townsend, Jason Flemyng u. a., USA 2003, 110 Min.