: Die Heimat bleibt im Hinterkopf
Entfremdung im Exil: Der Dalai Lama wird zum Vorzeigebuddhisten und der Dissident aus China droht zu Hause in Vergessenheit zu geraten
Zu Hause hat es einen Sinn, Oppositioneller zu sein, auch wenn der Preis dafür sehr hoch war. Doch wenn die Pekinger Jugend heute in hippen Cafés im Mao-Design sitzt, interessiert es sie nicht die Bohne, wenn ein Exilchinese gegen seine alte Regierung wettert. „Die haben doch überhaupt keine Ahnung, wie es hier ist“, sagt Fu Xing, 39, einst Demonstrant auf dem Tiananmen-Platz, heute Werbeberater chinesischer Medien. Vor einem Panzer zu stehen und Demokratie zu fordern ist heroisch. Die gleichen Forderungen aus Washington zu faxen bedeutungslos.
Tatsächlich werden die chinesischen Veteranen des Kampfes für die Demokratie von ihren Landsleuten zu Hause eher verspottet als verehrt. Zu diesem Imageverlust tragen sie einerseits selbst bei, andererseits sorgte dafür eine hämische Presse. Seit den Neunzigerjahren kämpfen die Exilanten in diversen selbst gegründeten amerikanischen Demokratie- und Menschenrechtsorganisationen um Geld, Autorität und den richtigen Kurs. Die E-Mails ihrer Internet-Postillen löscht Fu Xing meistens, ohne sie zu lesen. Einen charismatischen Führer, wie Südafrika mit Nelson Mandela hat, gibt es nicht.
Der berühmteste Dissident, Wei Jingshen, der nach 18 Jahren fast ununterbrochener Haft körperlich am Ende war, ist seit 1997 in den USA. Zweimal lehnte er es ab, in den Westen abgeschoben zu werden. Heute hat er ein Büro und einen Assistenten an der Columbia University, steht spät auf und arbeitet bis in die frühen Morgenstunden. Zweimal fuhr er kreuz und quer durch Europa, um Stimmung für eine UN-Resolution gegen Chinas Menschenrechtsverletzungen zu machen. Umsonst. Die Europäische Union brachte die Resolution nicht einmal ein.
Auch Fang Lizhi, Chinas prominentester Dauergast in der Pekinger US-Botschaft, ist in Texas vertrocknet. Der Astrophysiker, der in den 80er-Jahren hunderttausende von Studenten zum Aufstand gegen die Kommunistische Partei ermunterte und schließlich im Mai 1989 sein Leben mit einer Flucht in die US-Vertretung rettete, ist den jüngeren Chinesen völlig unbekannt.
Chai Ling, die als „sanfte Jakobinerin“ berühmt gewordene Heroin vom Tiananmen-Platz, die damals, als die Soldaten anrückten, weinend rief „Wir können China nur retten, wenn wir uns opfern“, führt heute eine eigene Firma. Jüngst sagte sie in einem Interview, sie wolle so reich werden, dass sie China kaufen könne.
Auch Wuer Kaixi, der beredte und schlaue Wortführer der Tiananmen-Generation, floh erst in den Westen und ist heute Moderator eines kleinen taiwanischen Lokalradios. Als er Anfang der 90er-Jahre in Taipeh in einer Stretchlimousine gesehen wurde, servierte die Pekinger Gerüchteküche dazu Sexpartys und Techtelmechtel der Demokratie-Aktivisten. Heute sagt Wuer Kaixi: „Das Exil ist eine unaussprechliche Qual. Ich lebe die Träume derer, die getötet wurden. Die Last ist unbeschreiblich.“ ADRIENNE WOLTERSDORF
Neulich in Manhattan: 65.000 Menschen sind laut New York Times in den Central Park gekommen, um dem Dalai Lama zu lauschen. Das religiöse und politische Oberhaupt der Tibeter tritt hier bereits zum dritten Mal auf. 1991 kamen 5.000 Menschen, 1999 waren es schon 40.000. Zwar zieht er in den Park nicht so viele Menschen wie bekannte US-Fernsehprediger oder der Papst, aber der 1959 aus Tibet Geflüchtete erfreut sich zweifellos wachsender Beliebtheit. Der Asket mit der ärmellosen roten Robe ist im Westen der wohl beliebteste politische Flüchtling.
Dabei sagt der 68-Jährige mit einem Giggeln, das zusammen mit seiner Bescheidenheit und Selbstironie zum Markenzeichen wurde, bei seinem Auftritt von sich selbst: „Ich habe nichts anzubieten, nichts Besonderes. Nur etwas Blablabla.“
Genau dies passt in eine Marktlücke, die der Dalai Lama geschickt zu füllen versteht. Die Heiligkeit aus einem von verbiesterten Atheisten besetzten mittelalterlichen Gottestaat verkörpert wie kein anderer Flüchtling für des Materialismus überdrüssige Westler Spiritualität, Reinheit, Unschuld und Exotik. So befriedigt er – oft gegen teures Geld – die Bedürfnisse geistig verarmter Westler. Dabei sind viele Botschaften des Dalai Lama Binsenweisheiten. Aber er sagt sie so nett und tut dabei niemandem weh, dass man ihn einfach gern haben muss. „Das Konzept des Krieges ist überholt“, sagt er unter Beifall im Central Park. „Die Zerstörung deines Nachbarn als Feind ist letztlich deine eigene Zerstörung.“ Wer wollte widersprechen? Und die Terroranschläge vom 11. September als Zeichen für zu viel negative Energie? Auch d’accord.
Der Dalai Lama ist gerade als Opfer der Chinesen ein Sympathieträger. Solange er keine wirkliche weltliche Macht hat, muss er sich nicht die Hände schmutzig machen und selbst unpopuläre Entscheidungen fällen. Auch lassen sich die reaktionären Seiten des tibetischen Buddhismus leichter verklären, da dieser dank des brachialen Auftretens der Chinesen sympathischer erscheint und Widersprüche zur Moderne so in den Hintergrund treten.
Dabei fällt auf, dass die spirituelle Botschaft Seiner Heiligkeit im Westen ohnehin viel mehr Gehör findet als etwa die politischen Forderungen der Tibeter nach Unabhängigkeit oder echter Autonomie. Kein Staat unterstützt eine Unabhängigkeit Tibets. Und viele Regierungen sind angesichts des wirtschaftlichen und politischen Gewichts Chinas nicht bereit, sich ernsthaft für Menschenrechte in Tibet zu engagieren, geschweige denn tibetische Flüchtlinge bei sich in größerer Zahl aufzunehmen.
Die Menschen im Westen holen sich von dem Vorzeigebuddhisten das, was sie anzieht und was sie an Sehnsüchten in ihn und seine Heimat und Kultur hineininterpretieren. Für die wirkliche Situation der gut 5 Millionen Tibeter in China und der 130.000 tibetischen Flüchtlinge im Exil interessiert sich kaum jemand. Im reichen Deutschland bildet die Aufnahme von insgesamt nur rund 150 tibetischen Flüchtlingen einen Kontrast zur Tibetbegeisterung und Beliebtheit des Dalai Lama.
Die Hauptlast bei der Aufnahme tibetischer Flüchtlinge tragen die armen Nachbarn Indien (100.000 Flüchtlinge), das auch der Exilregierung des Dalai Lama ein Refugium bietet, sowie Nepal (20.000). Als am 31. Mai die Regierung in Kathmandu 18 tibetische Flüchtlinge an China auslieferte, regte sich im Westen nur wenig Protest. Am Vorabend hatten 22.000 Gläubige dem Dalai Lama beim Kirchentag in Berlin zugejubelt. SVEN HANSEN
Viele Historiker vertreten die Ansicht, der Schah hätte ohne das Wirken der Konföderation Iranischer Studenten (CIS/NU) – den Dachverband der iranischen Auslandsopposition – nicht oder nicht so rasch gestürzt werden können. In der Tat war es der CIS/NU, die ihren Mittelpunkt in Deutschland hatte, gelungen, die Öffentlichkeit in den westlichen Industriestaaten auf die Verhältnisse in Iran aufmerksam zu machen und sie gegen die Politik der Regierungen, die aus wirtschaftlichen Erwägungen den Diktator hofierten, zu mobilisieren. Die Proteste erreichten im Juni 1967 beim Besuch des Schahs in Deutschland einen Höhepunkt. Bei Demonstrationen gegen das iranische Kaiserpaar vor der Deutschen Oper in Berlin wurde der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen.
Im Zuge des Volksaufstands gegen die Monarchie kehrten zahlreiche Oppositionelle aus dem Ausland in die Heimat zurück. Doch die Hoffnung auf Freiheit und Demokratie wurde durch die neue Macht zunichte gemacht. Chomeini und die seinen wollten den islamischen Gottesstaat errichten. Die Enttäuschung, die verheerende Niederlage und nicht zuletzt die Angst um das nackte Leben trieb viele abermals ins Exil. Auch der achtjährige Krieg gegen Irak zwang hunderttausende zur Flucht.
Vor der Revolution stammten die meisten Iranerinnen und Iraner, die sich in der Bundesrepublik aufhielten, aus dem Mittelstand oder gehobeneren Gesellschaftsschichten. Sie waren Studenten oder in akademischen Berufen tätig. Demgegenüber gehörten diejenigen, die nach der Revolution hier Zuflucht suchten, verschiedenen Berufsgruppen und Schichten an. Überdies verhinderten die Niederlage und Resignation über längere Zeit die Wiederaufnahme politischer Aktivitäten. Hinzu kam, dass die neuen Machthaber im Iran sich nicht um die Meinung der Öffentlichkeit im Ausland scherten. Eine politische, gar organisatorische Verbindung zu oppositionellen Aktivisten im Iran, die wegen brutaler Repression nur im Untergrund tätig sein konnten, war kaum möglich. Den Theokraten war es gelungen, die gesamte organisierte Opposition zu zerschlagen. Zehntausende Oppositionelle wurden in den ersten Jahren nach der Revolution hingerichtet.
Erst mit dem Beginn der Reformbewegung und der allmählichen Öffnung des Landes nach außen boten sich auch für die Auslandsopposition neue Möglichkeiten. Doch die Exilanten hatten dieses Mal ganz andere Aufgaben zu erfüllen. Es ging um die Unterstützung jener Bewegung, die sich im Iran in der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, der Kultur und der Religion gebildet hatte.
Zwar ist der Druck von außen immer noch wichtig, doch eine Macht, die aus einer Revolution hervorgegangen ist und im Namen Gottes und der Religion operiert, verliert nur dann die Legitimation, wenn sie die Basis im Volk verliert. Dementsprechend orientiert sich die Auslandsopposition eher nach innen. Dank Internet und erweiterter Reisefreiheit konnte die Verbindung zur Inlandsopposition hergestellt und ausgebaut werden, so weit, dass man zumindest von einer halbwegs koordinierten Zusammenarbeit sprechen kann. Das sich nun abzeichnende Scheitern des Versuchs, den islamischen Gottesstaat von oben zu reformieren und in einen zivilen, demokratischen Staat zu verwandeln, ist auch für die Auslandsopposition eine Herausforderung, für die sich politische Gruppen zu organisieren versuchen. BAHMAN NIRUMAND