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Archiv-Artikel

Ein Geist im roten Cabrio

Tragische Zugunfälle von Männern spielen zwar bei Johnny Cash und bei Heinrich eine Rolle, aber muss Heinrich deswegen Cash auf Plattdeutsch singen? Johnny Cashs Fans, Epigonen und Biografen beerben ihn ausgiebig an seinem ersten Todestag

VON ANDREAS BECKER

Zuerst die Klamottenfrage. Was ziehe ich an zum großen Cash-Tag? Johnny trug ja angeblich immer Schwarz. Als alter Rebell hat man da gleich Lust, Weiß zu tragen. Wie olle Rainer Langhans möchte man aber auch nicht zum nachmittäglichen Pressetermin mit Heinrich – The Voice of Cash – gehen.

Heinrich? Who the fuck is Heinrich? Heinrich, firmiert auch als Heinrich der Wolf oder Doc Wolf. Der beleibte Endfünfziger ist in der Gegend um Gifhorn bekannt als Autobus-Sammler. Der Mann besitzt diverse englische Doppeldecker, amerikanische Schulbusse und als Sahnehäubchen seiner Sammlung eine alte Ostberliner U-Bahn. Tragische Zugunfälle von Männern, die kurz vor ihrem Tod noch sagen: „Ich hätte so gern noch meinen Sohn kennen gelernt“, spielen bei Cash und natürlich auch bei Heinrich eine Rolle.

Als man dann in schwarzen Shorts zum Holzmarkt 25 fährt – eine weitere Wasserlocation an der Spree, mit sympathisch versifften Sofas direkt am Fluss und gutem Blick auf vorbeifahrende Züge, – steht ein riesiges rotes Cadillac Eldorado Cabrio, etwa fünfmal so lang wie ein Smart, vor dem Bretterverschlag der Bar. Am linken Lenkradrand Kratzspuren der fetten Ringe, die Cash trug. Herr Heinrich hat das Teil, das einst von Johnny Cash, Kris Kristofferson, Willie Nelson und Waylon Jennings als Highway Men auf Paraden gefahren wurde und angeblich auch in historischen Filmaufnahmen auftaucht, 2001 völlig unspektakulär im Netz ersteigert – für gerade mal 3.061 US-Dollar. Wenn in Kürze bei Sotheby’s die Versteigerung des Cash-Nachlasses stattfindet, wird das Auto immer noch in Gifhorn neben den Doppeldeckern stehen, aber wahrscheinlich hundertmal mehr wert sein. Heinrich ist mit dem Caddi über die Autobahn nach Berlin gefahren, hat zwei Stunden im Stau gestanden und sagt vor seinem Kurzauftritt: „Da nützt einem kein Handy und kein Internet, du kommst einfach nicht weiter.“ Tragisch. Auch tragisch, dass Heinrich, der ein kleines Sternenbanner am Revers seines schwarzen Hemds trägt, auf dessen Ärmel seine Internetadresse steht, den Johnny nie live gesehen hat. Aber er hat nun mal die Stimme und die Statur und liebt die Lieder von Cash.

Warum soll er sie dann nicht singen? Und „I Want Back Down“ mit „Ich zieh den Schwanz nich ein“ übersetzen. Oder „Southern Accents“ auf Plattdeutsch singen? Ist ja nicht verboten, oder?

Er könnte natürlich auch in der Star-Show im Estrel-Hotel auftreten, nach Elvis. Höflich spricht man ihn auf die Imitatorsache lieber nicht an, sondern studiert den Fahrzeugbrief des Cadillac, in dem tatsächlich J. Cash steht. Kann man die Dinger eigentlich fälschen? Johnny jedenfalls hat Heinrichs Aufnahmen noch am Krankenbett gehört und laut einem seiner zahlreichen Söhne etwas wie „Oh, very good for a german production“ gemurmelt. Ob das seiner Gesundheit zuträglich war, ist nicht überliefert.

Abends setzt sich dann dieser irgendwie entglittene und auch etwas verfrühte Cash-Tag (er starb am 12. September 2003) mit einem Besuch in der arena fort. Schon wieder steht einem der Cash-Wagen im Weg und Heinrich daneben, der aussieht, als traue er sich nicht rein. Drin haben Cash-Fans der harten Sorte die Regie. Franz Dobler liest aus seinem Cash-Buch „The Beast In Me“ lesen und Peter Lohmeyer aus der neuen Hör-CD „Auf Kurs. Die Johnny Cash Biography“, die bei den rührigen Bear Family Records erscheint. In den vorderen Reihen sitzen teils merkwürdig uncoole Leute wie ein Pärchen mit Strohhüten, die bei der späteren Cash-Disko mit DJ Dobler als Letzte noch fröhlich rumhopsen. Daneben Leute, die gucken, als würden sie mehr auf Lohmeyer als auf Cash stehen. Lohmeyer kann sich nicht recht zwischen Schauspiel und Einfach-mal-Normalsein entscheiden. Als es um Johnnys versagende Stimme wegen der vielen Drogen geht, mimt auch er den Stimmbandkranken. Später spielt er dann mit seinem Trio Hotel Rex Cash-Songs. Vor Ring of Fire entzündet er theatralisch ein Streichholz. Hoffentlich hat Johnny diesen Tag tief und fest in seiner Nashville-Gruft gepoft.

Heinrich singt, heute 22 Uhr im Kaffee Burger, morgen 22 Uhr im Waschhaus Potsdam, Schiffbauergasse 1