Neue Wunderkinder

Viele junge Spieler drängen in Brasiliens Team, einige davon durften gegen Deutschland ihre Eignung beweisen

BERLIN taz ■ Carlos Alberto Parreira nahm es gelassen. „Ich freue mich, dass wir beim Aufbau der neuen deutschen Mannschaft helfen konnten“, witzelte der brasilianische Nationaltrainer im Anschluss an das 1:1 gegen Deutschland im Berliner Olympiastadion. Im nächsten Atemzug sprach Parreira jedoch von einem „echten Test“ für den fünfmaligen Weltmeister Brasilien. Er diente laut Parreira vor allem dazu, einige international unerfahrene Spieler an die Mannschaft heranzuführen, zumal fünf Leistungsträger vom AC Mailand und Bayern München nicht nominiert worden waren, darunter Weltmeister Lucio sowie Zé Roberto vom FC Bayern und der torgefährliche Kaká (22), der gleich in seiner ersten Saison bei Mailand groß aufgetrumpft hatte.

Tatsache ist, dass auch die „Seleção“ gerade einen Umbruch erlebt. Nach dem WM-Gewinn 2002 wurden nicht nur Spielmacher Rivaldo und Torhüter Marcos ausgemustert, auch ein erfahrener Spieler wie Rechtsverteidiger-Legende Cafú muss inzwischen häufiger auf der Ersatzbank Platz nehmen.

Um Nachwuchs brauchen sich die Brasilianer freilich kaum Sorgen machen. Während man im Spiel gegen die Deutschen den Eindruck hatte, Brasiliens Stammspieler, allen voran der 27-jährige Ronaldo, würden sich gerade so viel bewegen, dass das Unentschieden nicht in Gefahr geriet, konnten in der zweiten Halbzeit sowohl die hängenden Spitzen Alex (27) und Júlio Baptista (22) als auch der rechte Verteidiger Maicon (23) offensiv Impulse setzen. Die drei gehörten zu der jungen Mannschaft Brasiliens, die Ende Juli Südamerikameister wurde – zum ersten Mal seit fünf Jahren. „Wir verfügen über eine sehr gute Spielergeneration und stehen vor einer außergewöhnlichen Zukunft“, hatte Coach Parreira nach dem Finale resümiert.

Im „Copa América“-Kader Brasiliens standen neben dem Neu-Werderaner Gustavo Nery auch Bordon von Schalke 04 und Juan von Bayer Leverkusen, der durchweg Bestnoten erhielt. Dazu kamen mit den Youngstern Diego (19) und Robinho (20) sowie Renato gleich drei Spieler vom einstigen Pelé-Klub FC Santos. Der alles überragende Spieler war aber der 22-jährige Adriano von Inter Mailand. Mit sieben Treffern wurde er Torschützenkönig, und beim WM-Qualifikationsspiel am Sonntag gegen Bolivien durfte der bullige Stürmer erstmals von Beginn an neben seinem Idol, dem wiedererschlankten Ronaldo, auflaufen – beide bedankten sich mit jeweils einem Tor. Obwohl Adriano beweglicher ist, als man bei seiner Statur vermuten mag, muss sich erst noch zeigen, ob es eine guter Schachzug Parreiras ist, auf zwei echte Mittelstürmer zu setzen. Gegen die Deutschen war das Flügelspiel jedenfalls ein Manko der manchmal etwas behäbig wirkenden Brasilianer.

Ein Hoffnungsträger lief allerdings nicht auf den Rasen des Berliner Olympiastadions: Robinho aus Santos. Vor zwei Jahren hatte er im Finale um die brasilianische Meisterschaft seinen Gegenspieler von den Corinthians mit über zwei Dutzend Übersteigern so lange genervt, bis dieser sich nicht anders zu helfen wusste, als Robinho im Strafraum von den Beinen zu holen. Den fälligen Elfmeter verwandelte Robinho selbst, und schlagartig war er in Brasilien zu einer Berühmtheit geworden.

Während er in seiner Heimat seither als „menino prodígio“, als Wunderkind, gefeiert wird, vergleichen ihn ausländische Medien zumeist mit keinem Geringeren als Pelé. Das ist natürlich Unsinn, denn der schmächtige Robinho trägt zwar ein ähnlich breites Grinsen wie „O Rei“, König Pelé, zur Schau, doch ansonsten ist er eher ein trickreicher Flügelflitzer, der seine Gegner schwindelig spielt, als ein Spielgestalter mit Zug zum Tor. Immerhin hat der verspielte Robinho seine Zielstrebigkeit verbessert – dank seiner neuen Treffsicherheit steht der FC Santos, trotz des Verkaufs einiger Leistungsträger, in der laufenden Meisterschaft wieder auf Platz eins.

Vielleicht war es ja weise Voraussicht, dass Nationaltrainer Parreira den nur 1,72 Meter großen Robinho gegen die kräftigen deutschen Abwehrhünen schonte. Schade nur, dass die Zuschauer deshalb auch nicht in den Genuss eines ganz speziellen Tricks kommen konnten: wenn Robinho inmitten eines Dribblings kurz innehält, ein Bein anwinkelt und aus seinen Schuhstollen ein Grasbüschel schnipst, um im nächsten Moment einen Haken um den verdutzten Verteidiger zu schlagen. OLE SCHULZ