Castrop-Rauxel chancenlos gegen Tony Blair

Zwei Wochen vor der Kommunalwahl stellt die taz nrw auf einer Veranstaltung die entscheidende Frage: Ist diese Abstimmung nur eine weitere schnell vergessene Wahl oder Vorbote vom Ende der rot-grünen Bundesregierung?

DÜSSELDORF taz ■ Es dauert keine fünfzehn Minuten, da steht schon fest: Große Visionen für die Zukunft sollen entworfen werden, keine kleinmütigen Prognosen über den Ausgang der nordrhein-westfälischen Kommunalwahl am 26. September. Die taz nrw hatte zu einer Diskussionsveranstaltung im Düsseldorfer zakk geladen, „Kippt Rot-Grün über Castrop?“ war die etwas unbescheidene Frage. Castrop-Rauxel und Düsseldorf werden im Gespräch allerdings auf die hinteren Plätze verwiesen, Berlin, die Großindustrie und Tony Blair setzen sich auf dem Podium und im Zuschauersaal durch.

Für Franz Lehner, Chef des Gelsenkirchener Instituts für Arbeit, ist der diesjährige Wahlkampf „das perfekte Schlafmittel.“ Es gebe keine einzige Debatte, die die Bürger hinter der Hecke hervorlocken könne, so der gebürtige Schweizer. Entscheidend sei einzig und allein, ob die Parteien ihre Stammwähler mobilisieren könnten oder nicht. „Ich finde das schade, aber die lokalen Themen spielen kaum eine Rolle.“ Lehner sei überglücklich über das Ende von Kohl gewesen, aber auch Schröder fehle der große Wurf: „Solange es keine Visionen gibt, fehlt auch das Interesse.“ Ob CDU oder SPD, die Parteien seien doch alle derselbe Brei. „Der kaltschnäuzige Clement handelt im Interesse der Großindustrie und treibt unsere Kommunen an den Rande des Ruins.“

Der „kaltschnäuzige“ Bundeswirtschaftsminister werfe zwei Wochen vor der Wahl kaum einen Blick auf sein Heimatland, glaubt Ulrike Winkelmann aus dem Berliner Parlamentsbüro der taz. Bundespolitiker würden die NRW-Wahl glatt übersehen. „Aus Berliner Sicht ordnet sich alles unter.“ Die Genossen hätten ihre roten Rathäuser schon als verloren gebucht. Visionen als Lockmittel – daran glaubt die gebürtige Paderbornerin nicht. „In den vergangenen Jahrzehnten hat es nie großartige Visionen gegeben“, sagt sie. „Aber es gibt auch handfeste Unterschiede: Rot-Grün will ein umlagefinanziertes, also solidarisches Umlagesystem, die CDU will es zerschlagen.“ Vielleicht solle sie Pressesprecherin von Wolfgang Clement werden, schmunzelt sie und erhält Applaus.

Bernhard Sander, Landeskoordinator der Wahlalternative, ist das alles zu pragmatisch. „Die große Vision ist die Verteilungsfrage“, sagt er. Es sei doch nicht normal, dass Vorstandschefs jetzt 300-Mal soviel verdienten wie ihre Arbeiter. „Wir wollen nicht das Vaterland der Arbeitnehmer wieder auferstehen lassen“, sagt der Ex-SPDler, aber „von meiner Hände Arbeit will ich in Wohlstand leben können.“

Sanders Vision kann eine Leserin aus dem Publikum nicht teilen: „Wir müssen uns von dem alten Wohlstandsbegriff verabschieden.“ Schließlich gehe der jetzige Reichtum auf Kosten der Umwelt und basiere auf Ausbeutung in anderen Teilen der Welt. „Aber das sagt niemand ehrlich.“ Nichts weniger als die Wahrheit fordert auch Lehner ein. „Die Leute wollen wissen, warum sie einen dornigen Weg gehen müssen“. Das zeige allein Tony Blair in England, der das Geld aus massiven Kürzungen sichtbar in Bildung gesteckt habe. „Die Menschen zahlen drauf, wenn sie nur den Sinn sehen.“

Auf Sinn- und Parteiensuche muss sich Peter von Blomberg, Vorsitzender von transparency international nicht begeben. Die Korruptionswächter halten sich aus jeder Parteienpolitik heraus. „Wir wollen die Menschen sensibilisieren, dass es nicht normal ist, Posten zum Beispiel bei der Stadtsparkasse nach Parteibuch zu vergeben.“ Korruption habe es schon immer überall gegeben, es komme nur darauf an, sie als solche zu erkennen.

Erkennbar war auch nach zweistündiger Diskussion, dass Rot-Grün Castrop nicht fürchten müsse. „Die Antwort ist Nein“, sagt Moderator und taz-nrw-Redaktionsleiter Christoph Schurian. Die Frage nach der richtigen Vision kann allerdings nicht beantwortet werden. Und alle guckten ein wenig neidisch auf Franz Lehner, der als gebürtiger Schweizer nicht wählen gehen muss. ANNIKA JOERES