: Terrorist ist man schnell
VON MAREKE ADEN
John Dowd ist kein schlechter Mensch. Der pensionierte australische Verfassungsrichter spendet ab und an für Krankenwagen in Sri Lanka. Dort aber gibt es rebellierende Tamilen, und wenn die den Krankenwagen in die Hände bekommen, hätte Dowd plötzlich verbotenerweise Terroristen finanziert. Denn zum Terroristen wird man in Australien neuerdings schnell. Man muss nur „eine schwerwiegende Körperverletzung und Sachbeschädigung“ begehen und damit zumindest „einen Teil der Bevölkerung“ einschüchtern wollen. Dass John Dowd möglicherweise nur für schnellere Krankentransporte sorgen wollte, hilft ihm dann auch nicht mehr. Auch „fahrlässige“ Terroristenhelfer werden bestraft.
John Dowd ist einer von 150 Juristen der International Commission of Jurists (ICJ). Kurz vor dem dritten Jahrestag der Anschläge vom 11. September haben die internationalen Juristen – Anwälte und Richter aus 55 Ländern – auf einer Konferenz in Berlin zum ersten Mal verglichen, welche Auswirkungen der Kampf gegen den Terrorismus auf die Menschenrechte hat – weltweit.
Ob Demokratie oder Diktatur – auf dem Papier wirken die seit dem 11. September 2001 erlassenen Änderungen erstaunlich ähnlich: Längere Haftzeiten ohne richterlichen Beschluss, mehr Rechte für Polizei und Geheimdienste, neue Strafgesetze gegen Terroristen und ihre Helfer, wobei Terroristen natürlich auch Leute sein können, die vorher Freiheitskämpfer oder einfache Kriminelle waren.
Die marokkanische Delegation des ICJ beklagte zum Beispiel, dass in Marokko mit Gefängnis bestraft werden kann, wer Terroristen hilft, indem er sie verteidigt. Das haben Mohamed El Hard, Abedamgid Bin Taher und Mustafa Kachni mit ihren Kommentaren und Interviews anscheinend getan. Die Journalisten wurden 2003 zu einem bis drei Jahren Haft verurteilt und säßen noch, wären sie nicht begnadigt worden.
Russland wollte in einem seiner Antiterrorgesetze den „Missbrauch der Pressefreiheit“ untersagen, berichtete der russische Gesandte Andrei Richter, das bedeutet die „Verbreitung von extremistischen Materialien“. Wladimir Putin hat das Gesetz zwar gestoppt, sagt Richter, aber nur weil Chefredakteure im Gegenzug einen Verhaltenskodex unterschrieben. Darin versagen sie sich Interviews mit „Terroristen“, sprich aufständischen Tschetschenen. Allerdings hatten die Regierungen Russlands und Marokkos schon vor dem 11. 9. 2001 ihre Nöte mit kritischem Journalismus. Im Januar 2000 wurden drei marokkanische Zeitungen verboten, und Artikel 15 des russischen „Terrorismusbekämpfungsgesetzes“ schreibt bereits seit März 2000 vor, dass Recherchen zu Tschetschenien „evaluiert“ werden dürfen, berichten die Juristen aus den beiden Ländern.
Es ist eher so, wie Leila Zerrougui, algerische Menschenrechtlerin und UN-Beauftragte gegen willkürliche Festnahmen, es beobachtet hat: „Was die Länder früher verschämt und heimlich gemacht haben, verkünden sie jetzt stolz als Maßnahme gegen den internationalen Terrorismus.“ Deshalb, meint auch die pakistanische Anwältin Hina Jilani, sei nicht George Bush die erste Adresse für Klagen über Menschenrechtsverletzungen im Namen des Antiterrorkampfes. Jilani sagt, Menschenrechtler täten überall immer noch am besten daran, mit ihren eigenen Regierungen zu ringen.
Dabei könnten gerade die Pakistanis leicht auf die USA zeigen: Die amerikanische Menschenrechtsgruppe „Human Rights First“ hat Hinweise gesammelt, dass in den pakistanischen Städten Kohat und Alizai versteckte Gefangenenlager von der US-Armee betrieben werden, die wie das berüchtigte Lager in Guantánamo funktionieren. Der ICJ-Vorsitzende Nicholas Howen selbst hat mit pakistanischen Frauen gesprochen, deren Männer seit einem Jahr „im schwarzen Loch des amerikanischen Rechts“ verschwunden sind. Jilani sieht „in dem Verhalten der Vereinigten Staaten einen „unfreundlichen Akt gegen mein Land“, findet aber trotzdem: „Dass Mörder und Vergewaltiger jetzt als Terroristen unter Ausschluss der Öffentlichkeit verurteilt werden, dafür ist allein die pakistanische Regierung verantwortlich.“
Seit dem 11. September ist allerdings die gut vernetzte internationale Gemeinde aus Nichtregierungsorganisationen verunsichert, sagt der Anwalt Wilder Tayler auf der ICJ-Konferenz. Der Mitarbeiter von Human Rights Watch hat das Problem am Beispiel der Amerikaner analysiert: Aus Angst, die Antiterrormaßnahmen der amerikanischen Regierung zu rechtfertigen, hätten die Menschenrechtler dort die Anschläge vor drei Jahren nicht verurteilt – zumindest nicht in der Schärfe, wie sie sich gegen Menschenrechtsverletzungen überall auf der Welt wenden.
Das hatte zwei Folgen, sagt der Jurist aus Uruguay: Derart irritiert, sei erstens auch der Protest gegen Guantánamo und Abu Ghraib in Amerika mau gewesen. Zweitens „büßen wir unsere Glaubwürdigkeit ein, wenn wir den Kampf gegen den Terrorismus verurteilen, aber über menschliches Leid durch terroristische Anschläge lieber schweigen“.
Das Argument ist: Menschenrechtler dürfen nicht nur indiskutable Maßnahmen – wie Folter – gegen den Terror anprangern, sondern müssen sich auch auf legitime Maßnahmen verständigen. Damit würde Diktaturen erschwert, im Namen des Antiterrorkampfes Menschenrechte zu verletzen. „Wir müssen uns auf eine kleinteilige Debatte über Sicherheitsbedürfnisse und legitime Terrorismusbekämpfung einlassen“, sagte der ICJ-Vorsitzende Nicholas Howen und forderte die versammelten Juristen zu Treffen mit Militärs und Behörden auf. Vor drei Jahren hätte er das noch nicht gesagt.