Sozial geschulte Kontrolleure

In Gelsenkirchen ersteht der Straßenbahnschaffner wieder auf. Die neuen Kundenbetreuer der Bogestra verkaufen keine Tickets, sondern kümmern sich ums Wohlergehen der Fahrgäste

AUS GELSENKIRCHENNATALIE WIESMANN

Am Gelsenkirchener Hauptbahnhof stolpert eine ältere Frau die steilen Treppenstufen der fast schon antiken Straßenbahn 301 hoch, hantiert mit ihren Taschen, fischt ihren Fahrschein heraus und streckt es dem Herrn in der blauen Schaffner-Uniform entgegen. Domino-artig zücken auch die anderen Fahrgäste ihre Tickets. „Brauchen Sie Hilfe“, fragt Abdelaziz Simounou, Mitarbeiter der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahn AG (BOGESTRA), als die alte Frau bereits in der Straßenbahn steht. „Ich bin Kundenbetreuer und in erster Linie im Dienste der Fahrgäste hier“, sagt er. Er will sich nicht als Kontrolleur sehen. Aber auch nicht als Reinkarnation eines Straßenbahn-Schaffners – Fahrkarten verkaufe er nicht und Fahrscheinkontrolle mache er nur dann, wenn er nichts anderes zu tun habe.

Der ehemalige Langzeitarbeitslose hat für ein halbes Jahr bei der Bogestra einen Vertrag nach Tarif. Mit 60 anderen ist er dafür von der Bogestra vier Wochen lang zum Kundenbetreuer geschult worden. Er soll nicht nur älteren Leuten oder Müttern mit Kinderwagen beim Einsteigen und Aussteigen helfen. Auch für die Beratung zum richtigen Umstieg oder dem günstigsten Ticket-Kauf ist er zuständig. Wenn – vor allem ältere – Fahrgäste in vorauseilendem Gehorsam ihren Fahrschein zücken, schlüpft er in die Rolle des Kontrolleurs. „Viele freuen sich, dass sie ihr Ticket zeigen dürfen. Dann wissen sie, warum sie eines gekauft haben“, sagt Simounou. „Ja sicher“, wirft eine ältere Dame ein. „Wegen den Schwarzfahrern erhöhen die auch ständig die Preise“.

Diese kommen in dem laut Bogestra bundesweit einzigartigen Modellprojekt relativ gut weg: „Sie müssen sich beim Fahrer ein Ticket ihrer Wahl kaufen und dazu kommen 2,50 Euro Bordzuschlag“, erklärt Bogestra-Sprecherin Sandra Bruns, die als Betreuerin der JournalistInnen mit an Bord ist. „Und ich begleite dann die Menschen zum Fahrer“, fügt Simounou hinzu, als ob es dabei um einen Staatsakt ginge.

Die Bogestra verspricht sich viel von dem neuen Projekt, das zunächst ein halbes Jahr lang erprobt werden soll. „Wir bauen auf Fahrgastzuwächse“, sagt Bruns. Jährlich transportiert die Bogestra 137 Millionen Personen. Tendenz steigend. Zum Service kommt der Präventionscharakter: Randalierer und jugendliche Schmierfinken sollen abgeschreckt und das allgemeine Sicherheitsgefühl der Menschen durch die Anwesenheit der Kundenbetreuer gestärkt werden. „Das ist ja nur ein subjektives Gefühl“, sagt Bruns. Denn statistisch passiere nur einem von 33.000 Fahrgästen ihres Unternehmens etwas. „Aber wir müssen das Gefühl trotzdem ernst nehmen“, ist sie überzeugt.

„Ich habe mich schon vorher sicher gefühlt, aber für die alten Leute ist das vielleicht anders“, sagt eine junge Frau. Ein älterer Mann erzählt stolz vom Bärenticket, mit dem er als über 60-Jähriger gerne herumfahre. Ob sich in der Straßenbahn ein Kundenbetreuer aufhalte oder nicht, sei ihm egal. Sowie auch viele andere den Service von Simounou nicht wahrnehmen. Andere holen schon einmal ihren Fahrschein heraus und wirken so, als ob ein Straßenbahnschaffner die letzten Jahrzehnte zum Alltagsbild gehört habe.

Wenn sich der Kundenbetreuer bei den Fahrgästen beliebt macht, werden weitere Straßenbahnen mit dem Service ausgestattet. Doch dafür will Bogestra dann nicht noch einmal neue Leute einstellen: Die eher unbeliebten Fahrkartenkontrolleure sollen dafür dann sozial geschult werden.