piwik no script img

lexikon der globalisierungWas bedeutet eigentlich Herrschaft?

Im Kern hält der moderne Herrschaftsbegriff die Erinnerung wach an den Übergang vom Feudalismus zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft. Damals bekamen die Herren es mit den Knechten zu tun.

Die Feudalherren hatten jahrhundertelang für sich arbeiten lassen, ihr Verhältnis zur Welt der Sachen war passiv und genießend geworden. Auf der anderen Seite schwangen sich ihre Knechte – die Handwerker, die Erfinder, die „Industriellen“ – in den zunehmend komplexen Arbeitsprozessen zu den praktischen Herren der Dinge auf. Die neue Produktionsweise ermöglichte die bürgerliche Revolution und führte damit zu einer Umkehrung der Herrschaftsverhältnisse. Die Knechte von gestern wurden die neuen Herren. Diese Dynamik – und die damit verbundene Hoffnung – prägt noch heute den Herrschaftsbegriff.

Herrschaft in der modernen Gesellschaft ist gekennzeichnet durch die Heraufkunft riesiger Bürokratien in Staat und Wirtschaft. Rationalisierung und Bürokratisierung durchziehen auch den Prozess der Globalisierung. Herrschaft ist nicht mehr denkbar ohne gewaltige strategische Planungsanstrengungen und ohne die massenmediale Manipulation der Köpfe. Der überwiegende Konsens lautet, dass wir es heute mit einer „Entsubjektivierung“ von Macht, mit anonymen Herrschaftsapparaten, mit einem komplexen Spiel von Funktionseliten zu tun haben. Es sei sinnlos geworden, nach konkreten „Herren“, nach Personengruppen zu fahnden, die Macht noch so ausüben könnten wie die absoluten Herrscher und Räuberbarone in früheren Zeiten.

Diese Mehrheitsmeinung setzt allerdings voraus, dass das System der Checks und Balances der Moderne noch funktioniert. Dass also die verschiedenen Steuerungsbereiche der Gesellschaft – staatliche Verwaltung, Judikative, Privatwirtschaft, die repräsentativen Organe der Demokratie – eine gewisse Autonomie besitzen. Doch im postmodernen globalen „Empire“ beobachten wir einen Zusammenbruch dieser auf der Existenz von Nationalstaaten basierenden Ordnung, der bürgerlichen Steuerungsinstanzen, der demokratischen Strukturen.

Viele der im alten System erworbenen Positionsvorteile und Klassenprivilegien werden inzwischen auf globaler Ebene von bestimmten maßgeblichen Gruppen zur immer rücksichtsloseren, räuberischen, privaten Akkumulation von Geldmacht eingesetzt. Bezüglich dieser „Privatisierer“ zumindest wird damit die Frage „Was tun die Herrschenden eigentlich, wenn sie herrschen?“ wieder konkret beantwortbar. Und wohl auch die Frage „Was tun?“

HANS-JÜRGEN KRYSMANSKI

Das Lexikon der Globalisierung erscheint immer montags in Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Beirat von Attac

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen