: Wir, Kommunisten
Alan Badiou, Toni Negri, Judith Balso und Slavoj Žižek diskutieren in London über aktuelle Gesellschaftskritik
Im so geschnörkelten wie gepflegten Stadtteil Bloomsbury in London ließ sich die vergangenen Tage eine merkwürdige Erfahrung verzeichnen: Während unter den ersten Sonnenstrahlen in einem Park jeder Tourist verdächtig ist, eigentlich arbeitsloser Investmentbanker zu sein, hängen an einzelnen Laternen kleine, dezente Aufforderungen zur Denunziation jener, die durch antisoziales Verhalten auffällig wurden. Wohl verstanden meint antisoziales Verhalten eher Fußballspielen in der Straße und alkoholisierte Rüpelei denn Investmentbanking.
Diese Logik sagt auch, dass eine philosophische Konferenz kein antisoziales Verhalten ist, denn sie schadet dem Lauf der Dinge nicht. Das ist jedoch, wie sich mit Slavoj Žižeks Eingangsstatement vor den rund 800 Teilnehmern der Londoner Kommunismus-Konferenz am Wochenende festhalten lässt, falsch. Gut zu handeln ist der Imperativ der zeitgenössischen Moral und bedeutet, im Verein mit Bill Gates die Welt retten zu wollen. Mit Žižek ist die richtige Antwort darauf weniger ein anderes Handeln als vielmehr die Aufforderung, etwas ganz anderes zu tun: zu denken.
Wie aber lässt sich heute noch affirmativ an einer Idee des Kommunismus festhalten? Das Problem läuft auf die Verknüpfung zweier Dinge hinaus: der Möglichkeiten zur Realisierung dessen, was unter Kommunismus gemeint sein könnte, und dessen, was im abstrakten Sinne die Fortschreibung seiner Idee ist. Dieser Widerstreit liegt, wie Alberto Toscano in seinem Beitrag hervorhob, im Begriff selbst. Das Aushalten, Reformulieren und Behaupten dieser Schwierigkeit, dass die Lösung einerseits nicht gegeben ist, sondern sich in konkreten Situationen entwickelt und dass andererseits an der abstrakten Idee absoluter Gleichheit als leitender Idee festzuhalten ist, führte Peter Hallward in seinem Beitrag wiederum zu einer Reformulierung des Konzepts des Willens.
Politik ist eine Frage der subjektiven Entscheidung und muss sich abseits der organisierten Meinungen, der Umfragen und der ausgewogenen Übereinstimmungen halten. Diese Distanz der Politik ist zunächst die Distanz zum Staat, und so lässt sich zugleich der große gemeinsame Nenner der Konferenz von Michael Hardt und Antonio Negri bis hin zu Žižek, Jacques Rancière und Alain Badiou erfassen.
Bei Hardt und Negri zeigt sich diese Distanz anhand konkreter Widersprüche heutiger kapitalistischer Gesellschaften. Im Denken Badious bindet sich diese Distanz stärker an Ereignisse der Geschichte wie die Oktoberrevolution oder die Pariser Commune.
Jacques Rancière unterstrich die Notwendigkeit, eine Geschichte dieser singulären Momente mit der Schaffung neuer Punkte der Unmöglichkeit zu verknüpfen. Wenn die kommunistische Hypothese die Behauptung einer solchen Geschichte ist, dann kann davon die kommunistische Idee unterschieden werden, die, wie Alain Badiou es differenzierte, die immaterielle, zeitlose Axiomatik der Gleichheit all dieser Ereignisse bezeichnet. Es ging und geht darum, soziale Gleichheit in Distanz zum Staat zu denken.
Dass an dieser Stelle Zwist entsteht, wurde ziemlich genau fünf Minuten vor Ende der Konferenz deutlich. Die Diskussion entzündete sich nach Judith Balsos brillantem wie orthodoxem Vortrag, in dem sie Politik radikal von der Philosophie unterschied. Balso unterstrich die formale Seite eines Denkens, welches sich nicht über Analyse und Kritik, sondern einzig in der Form des Ereignisses Politik versteht. Hier geht es um etwas, und es schieden sich die Positionen Hardts, Negris und Žižeks von Badious und anderen. Nach Badiou, Balso oder Rancière führt von der Analyse kein unmittelbarer Weg zur Politik, die eine subjektive und unwägbare Entscheidung bleibt und in der Behauptung der Möglichkeit einer unmöglichen Position besteht. Die Kongress-Frage „Was tun?“ spaltete, auch wenn es, wie Žižek betonte, an der Zeit sei, den Namen Kommunismus aus seiner realhistorischen Versenkung zu holen, um ihn mit neuen Begriffen zu verknüpfen, wozu genau die letzten fünf Minuten der Veranstaltung sprachen. JAN VÖLKER