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Archiv-Artikel

Fluglärm treibt den Blutdruck hoch

Anwohner des Köln-Bonner Airports wehren sich immer lauter gegen die Schlafkiller. Obwohl nachts weniger Flugzeuge starten und landen, nimmt der Lärm zu, weil mehr schwere Maschinen starten

Von Silke Freude

Michael Garvens kam nicht nach Rath. Wahrscheinlich wusste der Geschäftsführer des Köln-Bonner Flughafens, was ihn dort im Bürgerzentrum erwarten würde: eine Menge Anwohner mit Schlafstörungen, Bluthochdruck und in Jahrzehnten aufgestauter Wut im Bauch. Mutiger war da schon Alexander Samel, Forscher beim Kölner Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin. Er ist verantwortlich für eine Studie zum Schlafverhalten bei Fluglärm, die unlängst für Wirbel gesorgt hatte. Wie Samel mussten sich auch Oliver Keymis, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Landtag NRW, und der grüne Verkehrsexperte Horst Becker bohrende Fragen gefallen lassen. Für die geplagten Anwohner saß Wolfgang Hoffmann von der Lärmschutzgemeinschaft Köln/Bonn am Dienstag Abend auf dem Podium. Eingeladen hatten die „Grünen Schäl Sick“.

Bundesweit ist nur der Köln-Bonner Flughafen für Nachtflüge offen. Das heißt: In Stoßzeiten dröhnt alle zwei Minuten ein Flieger über die Köpfe der Rather hinweg. Zwischen 22 und 24 Uhr abends landen Frachtriesen und Billigflieger, morgens von halb drei bis halb sechs starten sie besonders gerne. Vor allem das laute Starten stört die Nachtruhe: „Die mittlere Einschlafdauer liegt morgens bei zweieinhalb Minuten“, hat Hoffmann herausgefunden. „Die Anwohner werden also immer wieder aus dem Einschlafen herausgerissen.“

Hoffmann präsentierte eine überraschende Statistik: Demnach gab es am Flughafen Köln-Bonn 1997 mit 41.000 die meisten Nachtflüge, also noch vor dem Start der Billig-Flieger. Im Jahr 2004 waren es „nur“ gut 36.000 Nachtstarts oder -landungen. Dennoch ist die Lärmbelastung messbar gestiegen. Woran liegt das? Eine Antwort hatte der grüne Verkehrsexperte Becker: „Schwere Flugzeuge sind besonders laut. Immer mehr Flugzeuge der zweithöchsten Gewichtsklasse sind im Einsatz.“ Wenn bald interkontinentale Billigflüge und eine Erweiterung des Frachtdienstes UPS hinzukämen, bedeute das noch mehr Lärm, warnte Becker.

Die beiden Grünen auf dem Podium mussten vor allem für die 1997 verabschiedete Lärmschutzregelung und für den Entwurf zum Fluglärmgesetz herbe Kritik einstecken. Ein erboster Anwohner schleuderte den beiden Politikern entgegen: „Das hier ist doch eine Alibiveranstaltung! Die Grünen sitzen in Bund, Land und Stadt an der Regierung. Und genau Bund, Land und Stadt sind zu je einem Drittel Eigentümer des Flughafens. Warum tun Sie nichts?“ Die Antwort des grünen Keymis: „Wir haben bei Ministerpräsident Steinbrück angefragt. Er hat versprochen, sich um die Sache zu kümmern. Bisher hat er sich nicht gemeldet.“ Becker zeigte sich kämpferischer: „Die Regelung von 1997 hat eine Revisionsklausel. Da müssen wir auf Landesebene ansetzen.“ Wenn nicht, gilt die umstrittene Regelung bis 2015. Sie ist ein Grund dafür, dass immer mehr Flugzeuge der zweithöchsten Gewichtsklasse in Köln-Bonn starten.

„Eine Schweinerei“ nannten zwei Rather Bürger die Schlafstudie von Alexander Samel. Sie besagt, dass nächtlicher Fluglärm in gewissen Grenzen den Schlaf nur unwesentlich beeinträchtigt – ein willkommenes Instrument in den Händen des Airport-Managements. Aber die Rather sind über die Jahrzehnte alle zu Experten in eigener Sache geworden. Sie zerrissen die Studie in der Luft: Sie sei nicht repräsentativ, weil nur Gesunde teilgenommen haben, weil zu wenig Ältere beteiligt wurden, weil der simulierte Fluglärm im Labor zu gleichmäßig gewesen sei.

Wie sehr das Thema Fluglärm die Gemüter im Köln-Bonner Raum bewegt, zeigt die Tatsache, dass zeitgleich zwei Veranstaltungen zu diesem Thema gut besucht waren: in Rath und in Marienburg. Im Vergleich zu den Rathern sind die linksrheinischen Südstädter erst seit kurzem betroffen: 1999 wurde eine Flugroute dorthin verlegt. Helmut Breidenbach von der Lärmschutzgemeinschaft Köln/Bonn referierte vor den Marienburgern auf Einladung der Wählergemeinschaft „Kölner Bürger Bündnis“. Seine Botschaft: Die Bürger könnten die Stadt verklagen. Ein Anwalt in Lohmar habe es vorgemacht. Martin Müser, Vorsitzender des „Bürger Bündnisses“: „Auch wenn finanzielle Entschädigung den Betroffenen nicht viel bringt: Damit können wir der Stadt Köln drohen.“ Einen ersten Erfolg könne er bereits verbuchen: „Nach jahrelangem Schweigen kam die erste Reaktion der Stadt. Planungsdezernent Streitberger hat eingestanden, dass Handlungsbedarf besteht“, so Müser. Aber Nachtruhe sei mehr als ein Besitzstand. „Sie ist Menschenrecht.“