: Geld von der Börse
In London wird der diesjährige Deutsche Börse Photography Prize verliehen. Die Photographers’ Gallery zeigt jetzt die Arbeiten der Nominierten
Einige Londoner scheinen es nicht vergessen zu haben, dass die Deutsche Börse in der Vergangenheit erfolglos versucht hat, den eigenen, heiligen Londoner Stock Exchange aufzufressen. Auch am Eröffnungsabend des jährlichen Fotopreises der Deutschen Börse in der Londoner Photographers’ Gallery konnten sich ein paar der Wartenden in der endlos langen Schlange vor dem neuen Gebäude der Galerie nicht verkneifen, das Thema noch einmal aufzurühren. Doch die deutsche Heuschrecke ist trotz Krise nach wie vor bereit, eine Menge Geld in die Organisation und ein Preisgeld zu stecken, das mit 30.000 Pfund über dem des renommierten Turnerpreises liegt. Mit derartigen Superlativen kann man die Londoner Kunstszene dann doch beeindrucken.
Nominiert für eine Ausstellung aus den vergangenen zwei Jahren sind der Brite Paul Graham, Tod Papageorge, Taryn Simon sowie die palästinensisch-amerikanische Künstlerin Emily Jacir. Die Arbeit, für die Jacir 2007 den Goldenen Löwen der Venedig Biennale erhielt, verfolgt auf dokumentarisch-erzählerische Weise das Leben des palästinensischen Intellektuellen Wael Zuaiter, der 1972 von israelischen Agenten in Rom ermordet wurde. Rein ästhetisch hat es eine fast spielerische Anmut, wie Jacir die Originalbilder von Zuaiter vergrößert, aber dabei eben auch die alten, fransigen Kanten der damaligen Bildabzüge übernimmt. In den Fotoarbeiten der jüngsten Nominierten Taryn Simon, Jahrgang 1975, liegt dagegen die Spannung in dem, was man gerade nicht sieht. Der amerikanische Wahnsinn aus absurden Gesetzen, Verschwörungstheorien oder Doppelmoral wird mitgeliefert in Form kleiner, begleitender Schilder, auf denen die Geschichte hinter dem jeweiligen Motiv erzählt wird. So sieht man auf einem Foto bunt arrangierte Lebensmittel, Früchte, Gemüse, Fleisch. Erst beim genauen Hinschauen erkennt man, dass sich die scheinbaren Köstlichkeiten in einem höchst verderblichen Zustand befinden und in der Mitte ein langsam verwesender Schweinskopf liegt. Der Text klärt schließlich auf, dass es sich nicht um den Lagerraum einer Großküche, sondern den für die Tonnen an Lebensmitteln handelt, die Tag für Tag im Terminal 4 vom New Yorker JFK-Flughafen beschlagnahmt werden.
Ebenfalls eine echte Entdeckung in der Schau sind die Arbeiten des 1940 geborenen Amerikaners Tod Papageorge, die er zwischen 1966 bis 1991 im New Yorker Central Park machte. Durchweg in Schwarz-Weiß zeigt Papageorge ein befreiendes Bild von Freizügigkeit, wie man sie von New Yorks Vorzeigepark, durch den heute Millionärs-Hunde Gassi geführt werden, fast vergessen hätte. Die alte, gebrechliche Frau im Rollstuhl, die mit gerunzelter Stirn auf die pralle Jugend ihrer Begleiterin schaut, im Bikini in der Sonne ausstreckt. Knutschende Paare lehnen an Bäumen, Splitternackte machen mit ihrem Aktenkoffer ein Mittagsschläfchen.
Der Gewinner wird am 25. März bekannt gegeben, in der Jury befindet sich unter anderem der südafrikanische Fotograf David Goldblatt.
JULIA GROSSE
Bis 12. April, Photographers’ Gallery, London