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Archiv-Artikel

Keine Kippa ohne Kopftuch

Acht Bundesländer wollen ihre Lehrerinnen per Gesetz zur Barhäuptigkeit zwingen. Das Problem: Zwecks Gleichbehandlung müssten sie auch andere Kopfbedeckungen verbieten. Priester oder Rabbi bekämen in den Schulen ebenfalls Hausverbot

von HEIDE OESTREICH

Das Kopftuch sorgt weiterhin für Kopfzerbrechen: Die Kultusminister der Länder konnten bei ihrem gestrigen Treffen nur feststellen, dass sich ihre unterschiedlichen Auffassungen zum Thema Kopftücher auf Lehrerinnenhäuptern zu keiner gemeinsamen Linie zusammenflicken lassen. Nun werden acht Bundesländer über Verbotsgesetze beraten, die übrigen acht wollen sich lieber still verhalten.

Eigentlich hatte Baden-Württemberg den Kultusministern schon einen Gesetzentwurf für ein Verbot präsentieren wollen. Daraus aber wurde nichts. Die Juristen haben ein kleines Problem. Das kleine Problem steht ganz am Ende des Urteils, das das Verfassungsgericht am 24. September über das bekoptuchte Haupt der Grundschullehrerin Ludin sprach. Ein Kopftuchverbot kann demnach nur „begründet und durchgesetzt werden, wenn Angehörige unterschiedlicher Religionsgemeinschaften dabei gleich behandelt werden“.

Entweder man verbietet alle religiösen Kopfbedeckungen, also auch christliche Habits und jüdische Kippas, oder man lässt alle zu. Und wenn man alle verbietet, dann könnten weitere Fragen auftauchen: Nämlich, warum man in Baden-Württtemberg etwa in eine „christliche Gemeinschaftsschule“ gehen muss, wenn man die Grundschule besucht. Wie passt das zu einer strengen Auslegung des Neutralitätsgebotes an staatlichen Schulen? Oder die Passagen in den Verfassungen verschiedener Bundesländer, die besagen, dass Kinder nach „christlichen Grundsätzen“ unterrichtet werden sollen?

Die Stadtstaaten Berlin und Bremen machen es sich einfacher. Sie sind für die strenge Auslegung des Neutralitätsgebots. Alle BeamtInnen sollen demnächst aller religiöser Klamotten entkleidet werden. Es sind just die beiden Länder, die ohnehin wenig Religion in der Schule dulden: Der Religionsunterricht etwa ist in Berlin und Bremen nicht in den Schulunterricht integriert.

Doch die Vorstellung, dass ein jüdischer Lehrer aus dem Beamtendienst entlassen würde, weil er sich weigert, die Kippa abzunehmen, ist für viele in Deutschland unerträglich. In Bremen etwa unterrichtet der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde auch an einer Marineschule. Er hat schon angekündigt, dass man ihm „die Kippa vom Kopf reißen“ müsste. Die Schule untersteht glücklicherweise dem Verteidigungsministerium und damit dem Bund. Denn der Bremer CDU-Innensenator Thomas Röwekamp findet tatsächlich, dass „alle religiösen Kopfbedeckungen, also auch die Kippa, dem Neutralitätsgebot unterliegen“, so Röwekamp zur taz.

Diese strikte Neutralitätsauslegung stünde in der Kontinuität des Kruzifix-Urteils, das die Religion stärker aus der Schule verbannte, als die Verfassungsrichter es bis zu diesem Zeitpunkt verlangt haben. Demgegenüber steht die ältere Rechtsprechung, in der die Neutralität des Staates in Schulen sehr viel laxer ausgelegt wurde. So hat das Verfassungsgericht durchaus gebilligt, dass die Kinder in der Schule auf der „Grundlage des christlichen Bekenntnisses“ erzogen werden oder mindestens „christliche Bildungs- und Kulturwerte“ kennen lernen, wie es in einigen Landesverfassungen heißt.

Auch Baden-Württemberg mit seinen „christlichen Gemeinschaftsschulen“ kam beim Verfassungsgericht durch. Allerdings war das 1975. Eltern, die dagegen klagten, wurden nicht erhört: Es reiche aus, dass Schulen und Lehrer Toleranz gegenüber Andersdenkenden lehrten. Folgt man dieser alten Argumentation, so ist die Neutralitätspflicht des Staates sehr locker auszulegen. Dann aber hätte die klagende Lehrerin Fereshta Ludin Recht: Auch Kopftücher müssten dann in der Schule ihren Platz finden.

Bayern und Baden-Württemberg wollen am liebsten das Christentum samt der vereinzelten Nonnen in Habits schonen und allein das Kopftuch verbannen. Sie versuchen daher, das Kopftuch zu politisieren. Es stehe für die Ungleichheit und die Unterdrückung der Frau, weiß plötzlich der überzeugte Frauenbefreier Günter Beckstein, im Nebenberuf CSU-Innenminister von Bayern. Schon deshalb verstoße es gegen das Grundgesetz, so die Schützenhilfe von Bischof Wolfgang Huber von der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. Diese Argumentation ist allerdings wackelig, wenn man das Urteil ansieht: Die Richter haben dezidiert festgestellt, dass nicht alle Kopftücher politisch seien.

Dennoch gibt es im Urteilstext zwei Schlupflöcher für die Religionstrenner: Das eine besagt, dass bei der Abschätzung, ob das Tuch Schaden anrichten könne, der „Empfängerhorizont“ eine Rolle spielen kann, also die Art, wie das Tuch wirkt. Wenn die Kinder es als Unterdrückungsinstrument wahrnehmen, könnte das für ein Verbot sprechen.

Schlupfloch Nummer zwei: Die „Schultradition, die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung und ihre religiöse Verwurzelung“ dürfen bei der Entscheidung über das Gesetz eine Rolle spielen. Mit diesem Instrument versucht Bayern zu operieren: Mir san mir, und mir san katholisch, alles andere gibt’s hier nicht. Auch das dürfte nicht einfach in ein Gesetz zu gießen sein, der Diskriminierungsverdacht ist zu stark, das verfassungsmäßige Gebot der Gleichbehandlung zu offensichtlich verletzt.

Am Ende könnte ein sehr paradoxes Ergebnis stehen: Bayern treibt via Kopftuchverbot genau das voran, was es mit allen Mitteln verhindern will: die Austreibung des Christentums aus den Schulen, die Trennung von Kirche und Staat.