: Serbien steht kurz vor dem Staatsbankrott
Arbeitslosenquote über 23 Prozent, Tendenz steigend. Für IWF-Kredite muss der Staat seine Kosovo-Politik ändern
BELGRAD taz ■ Eine Therapie reicht nicht mehr aus, Serbien braucht eine Operation. So sieht Serbiens Notenbankpräsident Radovan Jelasic die Lage des Landes. Der Hüter des Dinars musste seit Oktober mit über 1 Milliarde Euro aus den Devisenreserven eingreifen, um den Absturz der einheimischen Währung aufzuhalten, die trotzdem 25 Prozent ihres Wertes einbüßte. Lange könne das so nicht weitergehen, warnte Jelasic kürzlich.
Die Regierung in Belgrad hat bisher ergebnislos versucht, der Wirtschaftskrise entgegenzusteuern. Gut 60.000 Firmen, die rund 1,3 Millionen Mitarbeiter beschäftigen, sind praktisch insolvent. Laut Union der Arbeitgeber ist dafür teilweise der Staat verantwortlich, der serbischen Firmen 720 Millionen Euro schuldet. Die Union rechnet, dass in diesem Jahr rund 120.000 Menschen ihren Job verlieren könnten. Die Arbeitslosigkeit in Serbien liegt bei 23,7 Prozent und steigt wöchentlich.
Eine halbe Million Menschen leben unter der Armutsgrenze. In Serbien bedeutet das, dass ein Haushalt mit rund 90 Euro über die Runden kommen muss. Ein Durchschnittseinkommen liegt bei rund 300 Euro, und die Preise unterscheiden sich größtenteils nicht mehr von denen in Deutschland.
Der drastische Fall des Lebensstandards steht im krassen Gegensatz zu den optimistischen Versprechen der proeuropäischen Regierung vom Sommer 2008. Geplant war ein Wirtschaftswachstum von 3,5 Prozent, jetzt ist von 0,5 Prozent die Rede. Aber selbst das ist wohl nicht zu halten.
Seit fast zwei Jahrzehnten leben die Bürger Serbiens in einem Zustand der Dauerkrise. Nach Kriegen, der internationalen Wirtschaftsblockade, einer Milliardeninflation ist acht Jahre nach der Wende immer noch kein besseres Leben in Sicht. Wieder einmal geht es ums nackte Überleben. Der Export ist seit Jahresbeginn um 37,5 Prozent, der Import um 24 Prozent gefallen, die Inflation wird zweistellig. Wegen mangelnder Auslandsinvestitionen und nach dem Abzug von über 1 Milliarde Euro aus einheimischen Banken wird Serbien wohl nur durch die Hilfe internationaler Finanzorganisationen ein wirtschaftliches und soziales Desaster verhindern können.
Das in Belgrad angedachte Rettungspaket beträgt mindestens 3 Milliarden Dollar, davon sollten der Internationale Währungsfond (IWF) 2,5 Milliarden, die EU 400 Millionen und die Weltbank 300 Millionen Dollar Serbien zur Verfügung stellen. Die Gespräche mit dem IWF haben Anfang der Woche begonnen. Sollten diese scheitern, drohe Serbien der Staatsbankrott, erklärte Stojan Stamenković, Berater des serbischen Premiers.
Um soziale Spannungen zu vermeiden, wolle die Regierung das Haushaltsdefizit von vorgesehenen 1,75 Prozent auf 3 Prozent erhöhen, und das habe der IWF gar nicht gerne, sagte Stamenković. Serbien hat schon 21,7 Milliarden Euro Auslandsschulden.
Hinzu kommt: Die ideologisch bunte serbische Koalitionsregierung ist nicht kohärent, hat nur eine hauchdünne parlamentarische Mehrheit und muss verschiedene Interessen aller Partner in Einklang bringen, was sie uneffizient macht und die Verabschiedung notwendiger Reformgesetze verzögert.
Als eine zusätzliche gewaltige Belastung für das Überbrücken der Wirtschaftskrise könnte sich die serbische Kosovo-Politik erweisen. Die Regierung hat sich hinter der Floskel verschanzt, dass Serbien unter gar keinen Umständen die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennen würde. Es gibt aber Anzeichen dafür, dass die USA über den IWF Serbien vor die Wahl stellen könnten: entweder eine andere Kosovo-Politik, oder es gibt kein Geld.
ANDREJ IVANJI