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Archiv-Artikel

Schleswig-Holstein probiert Schule für alle

Das nördlichste Bundesland will sanft zur Gemeinschaftsschule umschwenken. Leicht ist das nicht, weil die Kultusminister der integrierenden Schule eiserne Fesseln anlegen. Grüne drängen auf Missachtung der KMK-Regeln

BERLIN taz ■ Da wiegelt Ute Erdsiek-Rave gleich ab. „Es wird keinen Urknall geben“, beruhigt die Kultusministerin Schleswig-Holsteins. „Wir wollen, je nach regionalen Verhältnissen, die Schularten zu einer Gemeinschaftsschule zusammenwachsen lassen“, sagte sie der taz.

Dennoch: Schneller als die SPD-Bildungsministerin hat keiner reagiert. Kaum ist die gegliederte deutsche Schule in die Diskussion geraten, hat Erdsiek-Rave das Thema auf die Wahlkampfagenda gehoben. Im Februar wird in Kiel gewählt, „da wollen wir uns ein Mandat holen. Die Menschen sind bei der Gemeinschaftsschule weiter als die Bildungsfunktionäre.“

Aber so leicht wird der Umstieg zu einer Schule für alle im hohen Norden nicht werden. Rot-Grün muss die Kultusministerkonferenz (KMK) überzeugen – und das wird schwerer, als die Wähler zu gewinnen. Anders als es die Kulturhoheit suggeriert, kann ein Land seine Schulen nicht einfach umbauen.

„Die Kultusminister blockieren mit 16:0 Stimmen einen Umbau“, seufzt Karl-Martin Hentschel, der grüne Fraktionschef in Kiel. Die Grünen propagieren schon lange einen Umstieg zur neunjährigen Schule für alle, an die sich das Gymnasium anschließt. Aber die Regeln der KMK „sind knallhart“, so Hentschel, „wer sich nicht dran hält, muss damit rechnen, dass der Rest Deutschlands die Schulabschlüsse nicht mehr anerkennt“.

Die eiserne Fessel für eine echte Kulturhoheit der Länder ist das Hamburger Abkommen. Darin und in einer Folgevereinbarung von 1993 legten die Kultusminister fest, welche Schulen sie untereinander tolerieren – und wie eine Gesamtschule auszusehen hat. Darin heißt es: Auch eine Gesamtschule muss in den Kernfächern Deutsch, Englisch, Mathematik und Naturwissenschaften die Schüler von der 7. Klasse an nach Leistung trennen. Wer sich nicht daran hält, so weiß es ein Kultusbeamter, würde „politisches Harakiri“ begehen. Er riskiert die Mobilität seiner SchülerInnen.

Nicht ganz. Die aufmüpfigen Schleswig-Holsteiner Grünen wollen einen anderen Weg gehen. Sie möchten über eine Experimentierklausel im Schulgesetz ihr ganzes Land zu einer Modellregion erklären. Dann könnten autonome kommunale Schulen ihre Gemeinschaftsschule auch ohne Auslese betreiben – und anschließend, wie freie Schulen, externe Prüfungen bei den Schulämtern ablegen.

Die Grünen in Bund und Ländern assistieren ihren Kollegen. Heute treffen sich die Fraktionschefs, um über die Neuordnung der Bildung in der Föderalismuskommission zu sprechen. Ihre Idee ist, so die grüne Bundestagsabgeordnete Grietje Bettin, „das Hamburger Abkommen zu entschlacken und den Landesparlamenten die Hoheit über ihre Schulen wieder zurückzugeben“.

Geht das schief, gäbe es noch eine andere Lösung. „Vielleicht sollte man riskieren, das Hamburger Abkommen zu missachten, um mal eine echte Gesamtschulen zu bauen“, sagt Karl-Martin Hentschel. „Wir sind schließlich eher ein Teil Skandinaviens.“ Und da gibt es nur Gesamtschulen. CHRISTIAN FÜLLER