: berliner szenen Ein Abend im Tresor
French Kissing
Es ist so, wie man es sich vorstellt, wenn man dem Tresor positiv gegenübersteht: Die Musik ist klasse, der DJ ganz prima und die Leute tanzen begeistert. LA Williams, der DJ, trägt eine Baseballmütze. Den Bügel der Kopfhörer hat er nicht unter der Mütze, sondern fast im Nacken – dort, wo Beckham ein Tattoo hat. Manchmal streckt er seine Hand in die Menge, die jemand abklatscht. Vielleicht kennen die sich ja auch. Rechts neben ihm steht der Tontechniker und links am DJ-Pult so ein Typ, der ist wohl aus der Karibik und sieht auch super aus.
Zwei junge Leute vor dem DJ-Pult machen erotische Sachen in engen Jeans. Sie gehen genau in dem Moment woandershin, als man denkt, dass das nicht obszön, sondern eher wie MTV aussieht – so, als hätten sie sich das Bild ihres sexuellen Abenteuers bei MTV zum Zwecke des Selbstbetrugs ausgeliehen.
Ein paar Meter weiter tanzt ein Großer mit blonden Locken. Sein Blick ist gänzlich weltentrückt. Mehrmals sinkt er einem Engländer in die Arme und ruht seinen Kopf auf dessen Schulter aus. Auf dem braunen T-Shirt des Engländers, der mit ein paar Freunden hier ist, steht „Bench“.
LA, der sonst eher House spielt, hatte mit Klassikern von Carl Craig und Jeff Mills begonnen und war dann tresormäßiger geworden. Nun spielt er was von Derrick May. H. sagt, „das ist doch unser Hochzeitslied“, und weil es eher dunkel ist, sieht man nicht so richtig, dass wir teilweise zwanzig Jahre älter sind als die meisten hier. Wären wir nur zehn Jahre älter, hätte man uns für Drogenfahnder halten können. So reicht einem jemand einen perfekt gedrehten Grasjoint. Ein bleicher Hippie mit schwarzen Locken tanzt versonnen mit geschlossenen Augen allein zu „French Kiss“, als wir gehen.
DETLEF KUHLBRODT