: Ein Rausch in Grün
Der jüngste, nunmehr 15. deutsche Nationalpark liegt am hessischen Edersee. Er schützt einen alten Buchenwald. Die Bevölkerung ist nicht durchweg begeistert. Wanderung durch einen Märchenwald
VON CHRISTEL BURGHOFF
Wir sind in Bad Wildungen losgegangen für einen leichten Tagesmarsch durch den neuen Nationalpark Kellerwald bis zum Edersee. Wer in dieses Gebiet hineinwill, der muss Gatter öffnen und schließen. Kein Grund, sich darüber zu wundern, die Gatter gehören zur Geschichte des Kellerwalds. Wie so häufig in Deutschland: Vor ihrer Einrichtung zu Nationalparks waren die Naturgebiete in der Vergangenheit die privaten Lust- und Jagdreviere von Fürsten und Bonzen, Wildschutzgebiete, aus denen das Wild nicht rausdurfte und das gemeine Volk nichts drin zu suchen hatte. So behielten viele Wälder ihren naturnahen Charakter, während sie andernorts exzessiv bewirtschaftet wurden.
Leicht zu gehen, wenn man nicht gleich die steilen Einstiege zu den höchsten Höhen wählt. Natürlich sind steilere Wege immer die attraktiveren. Einstiege in die Herzzonen des Nationalparkwalds, Waldspaziergänge mit Aussicht. Der Edersee ist nicht weit. Er mäandert durchs Tal, von den Aussichtspunkten aus hat man den Eindruck eines Fjords. Der See entstand, weil die Eder gestaut wurde (1908–14). Die künstlichen Wasserreservoirs auf dem Peterskopf gehören zum Wasserkraftwerk an der Staumauer und dienen der Stromerzeugung. Das hochgepumpte Wasser treibt Turbinen an, wenn es durch große Rohre zurück zur Eder stürzt. An den hochgelegenen Staubecken dann ein Ausflugslokal. Dies freut einen Wanderer.
In manchen Wäldern ist es an manchem Tag im Jahr grüner als grün, die Blätter der Bäume scheinen zu phosphoreszieren, und man sich fragt, ob man ganz wach ist. So auch hier im Kellerwald. Das kommt von den Buchen. Die Buche: einst der Hausbaum Altgermaniens. Nach der letzten Eiszeit wanderte sie aus dem Süden ein, Buchenmischwälder bildeten dann den Urwald Mitteleuropas – „Buchonia“. Die Römer fanden es schaurig. In diesen Wäldern spielen auch die grimmschen Märchen.
Um Buchen geht es jetzt diesem jüngsten, dem 15. deutschen Nationalpark: ein schöner, alter Buchenwald mit einem besonders hohen Bestand an Altbäumen von mindestens 140 Jahren, ein Waldschutzgebiet seit 1989, das jetzt die besten Aussichten hat, wieder zu einem legendären Wald zu werden. Keine Buche wird mehr gefällt, und wenn sie von selbst fällt, dann bleibt sie liegen.
Etliche spezielle Wege sind in dem Nationalpark ausgewiesen, auf unserer Karte sind die Highlights markiert: markante Baumbestände, botanische Besonderheiten und gute Ausblicke über die Seen- und Berglandschaft. Sie führen durch hohen und lichten Altwald, der so dekorativ das Sonnenlicht bricht und filtert und die Farbe hervorzaubert. Schwarz-gelbe Feuersalamander gibt es hier. Putzig, aber niemals zu sehen, sind die Waschbären. Nordhessen ist Hochburg der Waschbären. Seit die ersten Tiere 1934 im Kellerwald ausgesetzt wurden, verbreiteten sie sich rasend schnell.
Der Kellerwald hatte es nicht leicht, zu einem Nationalpark zu werden. Immer noch schimpfen Nationalparkgegner über die vermeintliche Einschränkung ihrer Freiheitsrechte und Entwicklungschancen. Manche wollen lieber eine künstliche Schnee- und Skiarena für den Fremdenverkehr als dieses international renommierte Schutzprojekt. Es gibt nicht nur engagierte Befürworter des Nationalparks, es gibt auch engagierte Gegner. Rund 20 Jahre dauerte die Auseinandersetzung um den Park von der ersten Idee bis zu seiner feierlichen Eröffnung in diesem Sommer. Jetzt gibt es zwar den Park, aber noch keinen allseits akzeptieren Leiter. Die Auseinandersetzungen gehen weiter. Der Geschäftsbetrieb läuft auf Sparflamme.
Tourismus am Edersee ist klassischer Deutschlandurlaub: unprätenziös, beschaulich. Auf dem See sind Ausflugsboote, Yachten, die vielen kleinen Boote der Angler sind unterwegs oder liegen vertaut an den zahllosen Bootsstegen, an den Ufern gibt es etliche Campingplätze. Die Burg Waldeck überragt dekorativ die Szenerie. Wer um den See herumradelt, entdeckt am Wasser versteckte Feuerstellen. Natururlaub. Oder, wie man es heute lieber nennt: Aktivurlaub. Radfahrer willkommen. Und wie fast überall in den klassischen deutschen Ferienregionen stagniert der Fremdenverkehr. Der neue Nationalpark könnte dieser Region mehr Besucher bringen. Die eine der beiden Nationalpark-Infostellen hat ihr Haus am Wildpark oberhalb der Staumauer, neben Luchsen, Wölfen, Hirschen, Uhus und anderen echten Waldbewohnern. Für Besucher eine gute Adresse, denn die Flugshow im Wildpark ist ein echtes Vergnügen. Falken und Milane kreisen hoch über dem See und holen sich im Flug ihre Futterhappen. Wilde Greife verfolgen das Schauspiel aus gebührendem Abstand bis auf einen wilden Milan, der seit Jahren mitmacht und sich bei den Shows sein Futter holt. Ein Hit sind die Mönchsgeier, mit denen der Falkner arbeitet. Im Tiefflug fegen die großen Vögel über den Platz, immer knapp über den Köpfen der Zuschauer. Kindergruppen sind begeistert.
Ein Blick auf die Wanderkarte: Groß ist der Zankapfel Nationalpark nicht, noch keine 60 Quadratkilometer. Ein Bruchteil etwa vom Nationalpark Bayerischer Wald, der es auf 243 Quadratkilometer bringt. Die nächste Strecke über die bewaldeten Höhen ist wieder leichtes Wandern. Ab in den Wald.