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Archiv-Artikel

Stalins Vertreibungspolitik

betr.: „Vertreibung ist Gegenwart“ (Debatte von Peter Steinbach), taz vom 10. 10. 03

So richtig das meiste ist, was Sie schreiben, so blenden auch Sie einen wichtigen Punkt aus, welcher in der Debatte um das geplante bzw. abgelehnte Vertreibungszentrum nie zur Sprache kommt: dass nämlich die Vertreibungen oder gewaltsamen Umsiedlungen von Deutschen, Polen, Ungarn, Ruthenen ebenso wie die Verschleppung von Esten, Letten und Litauern nach Sibirien keineswegs einfach nur die „natürliche“ oder „logische“ Konsequenz der Naziverbrechen oder des Nationalstaatsgedankens waren, sondern das Ergebnis einer gezielten stalinistischen Politik, welche auf das Prinzip des „Teile und herrsche“ abzielte, und vor welchem die Westmächte kapituliert haben.

Schließlich hat es im Westen Europas nach dem Krieg nichts Vergleichbares gegeben, und schließlich erlaubten die Vertreibungen der Sowjetunion, die im Ribbentrop-Molotow-Pakt erhaltenen Gebiete – also die Beute der Teilnahme am Überfall auf Polen an der Seite Nazideutschlands – zu behalten, Polen dafür einen Ausgleich zu geben, und die mittelosteuropäischen Länder auf Dauer in der Furcht vor dem deutschen „Revanchismus“ unter ihrer Kontrolle zusammenzuhalten.

Es ist schon erstaunlich, dass dieser Aspekt der Ereignisse von 1945–1946 so vollständig ausgeblendet wird. Hierin liegt die Schiefe der Argumentation der Gegner des „Zentrums gegen Vertreibungen“. Es ist nicht gerecht, jeder Diskussion der Vertreibungen mit dem Hinweis auf Hitler zu begegnen, ohne die Rolle Stalins dabei auch nur zu erwähnen. ANDREAS THOMSEN, Essen

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