: „Die ,Bild‘ dringt nicht durch“
Nach vier Monaten Dauerfeuer vom Boulevard ist Hannover-96-Trainer Dieter Hecking immer noch kämpferisch – und versucht, seinem hypernervösen Verein einen Sinn für Kontinuität einzuhauchen
DIETER HECKING, 44, gelernter Polizist, 36 Bundesliga-Einsätze, kam als Trainer über Verl, Lübeck und Aachen 2006 zu ’96.
INTERVIEW: ROGER REPPLINGER
taz: Herr Hecking, entschädigt Sie der Spaß im Training immer noch für den Ärger, den Sie mit der Presse in Hannover haben?
Dieter Hecking: Das ist für mich kein Ärger. Solange die Kritik nicht unter die Gürtellinie geht, muss man damit leben. Dass beim Boulevard manchmal Geschichten konstruiert werden, das nervt schon manchmal. Aber dagegen kann man sich wohl kaum wehren.
Der Versuch, Sie abzuschießen, hat früh angefangen.
Das hat mit der Erwartungshaltung zu tun. Wir wurden vergangene Saison Achter, haben uns gut verstärkt. Was also sollten wir als Ziel ausgeben? Sollen wir sagen, wir wollen zwischen Platz zehn und 13 einlaufen? Dann heißt es: Der Trainer gibt keine Ziele vor. Also sagst du: internationaler Wettbewerb.
Hannover hat nicht viel für Transfers ausgegeben.
Dreieinhalb Millionen. Wir liegen mit den Ausgaben im unteren Viertel der Liga. Das sagt eigentlich alles. Wir haben einen Etat von 50 Millionen, vergleichen Sie mal.
Umso erstaunlicher der Erfolg der vergangenen Saison.
Da haben wir das Hannovers bestes Ergebnis in der Bundesliga geschafft. Es ist zwei Jahre nur nach oben gegangen. Dann mache ich das, im Nachhinein betrachtet, unglückliche Versprechen vor der Fan-Kurve. In der Euphorie habe ich gesagt: Wir holen in der kommenden Saison die fehlenden fünf Punkte für die Uefa-Cup-Qualifikation. Das wird von den Medien natürlich auch aufgenommen.
Dann geht der Start daneben.
Auf Schalke und in Stuttgart verloren, zu Hause gegen Cottbus 0 : 0, zu Hause Gladbach 5 : 1 geschlagen – ist doch weit gehend normal gelaufen. Durch die überzogene Erwartungshaltung gilt es aber als Fehlstart. Und dann stehen gegen Leverkusen fünf kranke Spieler auf dem Platz und wir scheiden im Pokal gegen Schalke mit 14 verletzten und kranken Spielern aus.
Leverkusen im September 2008 war entscheidend …
Danach gingen die Probleme richtig los: Tarnat, Ismaël und Enke verletzt, Lala nicht mehr dabei – Führungsspieler, auf die ich gesetzt hatte. Dann bricht vieles weg. Die Hierarchie ging verloren. Und die Spieler, die noch dabei waren, fühlten sich wohl in dieser kritischen Phase noch nicht bereit für Führungsaufgaben. Nachvollziehbar, aber auf diese Weise entstand eine Art Riss im Mannschaftsgefüge.
Ist der Riss nun gekittet, da einige Spieler wieder da sind?
Nein. Wir schleppen die Probleme weiter mit. Steven Cherundolo konnte wegen Verletzungen noch keine Konstanz entwickeln, Michael Tarnat war zehn Monate weg, Schlaudraff drei. Dass da die Leistung schwankt, ist normal, wird aber in dem kritischen Umfeld, das wir inzwischen haben, nicht mehr toleriert. Die Journalisten hier sagen: Hecking, das können wir nicht mehr hören.
Trifft Sie die Kritik?
Natürlich, es geht ja schon sehr lange gegen meine Person. Aber: Am Anfang hat es mir mehr ausgemacht. Man stumpft ab. Für mich ist und bleibt letztlich entscheidend, wie und was wir intern miteinander reden und vor allem, was der Vorstandsvorsitzende Martin Kind sagt.
Ein paar Spieler in der Mannschaft haben sich verbessert.
Ja. Jiři Stajner spielt eine tolle Saison, Konstantin Rausch, Christian Schulz auch, Bastian Schulz ist dabei, sich einen Stammplatz zu erobern. Hanno Balitsch spielt auf konstant gutem Niveau. Robert Enke ist zu nennen. Und: Szabolcs Huszti hatte sich so entwickelt, dass wir ihn für gutes Geld verkaufen konnten.
Die Gründe für die Lage von 96 sind auch deshalb schwer zu vermitteln, weil große Nervosität im und um den Club ist.
Das ist so. In Vereinen, in denen ich gespielt habe oder Trainer war, war es immer so, dass, auch wenn es dem Verein dreckig ging, bis Mitte der Woche kritisiert wurde, und dann hieß es: Am Samstag kommt Dortmund und dann gemeinsam dagegen. Das erlebe ich hier so nicht.
Besonders für Herrn Kind ist es schwer, Ruhe zu bewahren.
Ja, natürlich. Es gibt im Fußball eben immer vermeintliche wertvolle Ratschläge von außen. Das ist in jedem Verein und gerade auch bei der Nationalmannschaft so. Aber unser Präsident positioniert sich immer sehr klar. Wenn es Kritik an meiner Arbeit gibt, klären wir das intern.
In all der Hektik ist das wahre Problem der Mannschaft kaum mehr zu sehen.
Was uns fehlt ist Konstanz. Auch dabei spielen Verletzungen eine wesentliche Rolle. Dazu kommt die Diskrepanz zwischen Heim- und Auswärtsspielen. Die ist frappierend, kaum zu erklären.
Ist das jetzt auch eine Chance, die Hektik bei Hannover loszuwerden – wenn sich Kind nicht anstecken lässt?
Ich sage Herrn Kind: Wir haben eine Mannschaft, die gut genug ist, den Klassenerhalt zu schaffen, aber es bleibt möglicherweise eng bis zum Schluss. Ich bin der dienstälteste Trainer bei Hannover 96. Das zeigt, wie wenig Kontinuität hier immer war. Aus solch einer schweren Zeit können wir alle viel lernen.
Die Bild -Zeitung versucht alles, Kontinuität zu verhindern.
Das mag so sein – aber wenn, dann bislang vergeblich. Denn es ruft ja keiner: „Hecking raus“. Das zeigt, dass sie mit ihrer Meinung nicht durchdringen.
Es gab eine Debatte, ob 96 besser mit einer oder zwei Spitzen spielt. Das ist doch Kokolores, weil es nicht drum geht, wie viele Stürmer auf dem Platz stehen, sondern darum, was die, die dort stehen, machen.
Da haben Sie recht. Wir haben ja auch in beiden Systemen schon erfolgreich gespielt. Diese Flexibilität hat die Mannschaft also offensichtlich. Wir müssen das nur noch mehr verinnerlichen.
Ohne Mut kein Erfolg und ohne Erfolg kein Mut.
Ja, so könnte man sagen. Aber aus dieser Spirale werden wir rauskommen.