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Archiv-Artikel

Bormann spielt Bormann

Die wahren Bühnenbilder zu diesem Abend entstehen im Kopf: „Dritte Generation“, das Projekt der israelischen Dramatikerin und Regisseurin Yael Ronen, geht an der Schaubühne in die nächste Runde

Auch ein hochkomischer Abend, dessen Witz allerdings tückisch ist

VON ESTHER SLEVOGT

„Digging deep and getting dirty“ – „Tief graben und dabei schmutzig werden“ –, nennt sich ein Autorenfestival in der Schaubühne, das sich seit vergangenem Donnerstag mit Fragen von Geschichte und Identität auseinandersetzt und heute zu Ende geht. Meist muss man noch nicht einmal tief graben, um schmutzig zu werden. Bei der deutschen Geschichte zum Beispiel.

Wer dann doch tiefer gräbt, braucht angesichts der Geröllmassen, die schon ein einziger umgedrehter Stein in Bewegung setzen kann, Mut. Aber den hat die zweiunddreißigjährige israelische Dramatikerin und Regisseurin Yael Ronen, deren Projekt „Dritte Generation“ nun in der Schaubühne nach Stationen im vergangenen Sommer beim Theater der Welt und Tel Aviv in die nächste Runde ging.

Am Anfang kommt Niels Bormann. Nicht nur dass er seinen Nachnamen mit einem berüchtigten Nazi teilt, seine gesamte, einsneunzig große Erscheinung drückt das Unbehagen darüber aus, ein Deutscher zu sein. Jedenfalls wenn Niels Bormann Niels Bormann spielt. Dieses Verdruckste, trotz locker wehrmachttauglichen Bodymaßes, das immer eine Spur zu naiv tut: ein säuselnder Schuldkomplex auf zwei Beinen, schwul zudem, um auch den letzten Rest des Martialisch-Maskulinen zu tilgen. Bis plötzlich doch irgendwelche fiesen rassistischen Ressentiments aus ihm herausbrechen.

Obwohl er hier unter seinem bürgerlichen Namen auftritt, ist Niels Bormann natürlich eine Kunstfigur, die ihre zufälligen Ähnlichkeiten mit sich selber nutzt, um dem Anliegen des Abends zu größtmöglicher Klarheit zu verhelfen: nämlich einen Blick in die Abgründe der eigenen, von Schuld und Verdrängung geprägten Identität zu riskieren. Und wie Niels Bormann verfahren auch die anderen neun Akteure dieses „work in progress“, das die Folgen der Geschichte aus der Perspektive der dritten Generation, also der Enkel der Täter und Opfer, befragt.

Vier deutsche und sechs israelische Schauspieler – davon drei palästinensischer, drei jüdischer Abstammung – nutzen ihre Biografien, um die Spuren der untergründigen Verstrickung zu verfolgen, die deutsche, israelische und palästinensische Geschichte miteinander verbindet. Der unheimliche Untergrund, das ist der Holocaust, der die Gründung des Staates Israel beschleunigt hat und dessen Preis nun die Palästinenser bezahlen.

Aber bereits während diese These entwickelt wird, die die Arbeitsgrundlage des Abends ist, wird sie auch schon infrage gestellt, und man riecht förmlich die giftigen Dämpfe, die im toten Winkel dieses historischen Kurzschlusses entstehen. Und trotzdem ist an der Hypothese ja etwas dran. Aber was?

„Don't compare!“, fordert die israelische Schauspielerin Orit Nahmias in dieser viersprachigen, deutsch übertitelten Aufführung. „The Holocaust was a very unique event in the human history. Of course, there were other genocides – but please, don't compare.“ Dann folgte eine Suada, in der ein Argument das andere aushebelt. Dass nicht alle Deutschen Nazis sind, nicht alle Araber Terroristen. Aber manche eben schon. Auch wenn sie denken, dass sie keine andere Wahl haben, was auch die Israelis denken, wenn sie palästinensische Frauen und Kinder töten. Dabei hat man immer die Wahl.

Aber hat man das wirklich? Hängt man nicht wie eine Marionette an den Fäden der Vergangenheit? Das sind Fragen, die dieser Abend in improvisierten Spielszenen oder monologischen Passagen mit einer entwaffnenden Schonungslosigkeit stellt. Nichts als zehn Stühle stehen vor nacktem Beton im Halbrund der Schaubühnenapsis. Die wahren Bühnenbilder zu diesem Abend entstehen im Kopf und zerfallen schon im Augenblick ihres Entstehens wieder.

Dabei richten die Schauspieler den Zeigefinger allerhöchstens auf sich selbst. Immer führen sie vor, wie sie Opfer und Täter auf einmal sind: die jungen Deutschen, die Opfer ihrer Geschichte sind, für die sie als dritte Generation nichts mehr können und für die sie trotzdem verantwortlich sind. Sie führen vor, wie sich manche im Hunger nach Unschuld, als ökologische Fundamentalisten zu den Anwälten aller verfolgten Kreaturen dieser Erde machen und in ihrem Einsatz dann eben auch schon wieder faschistisch sind: wie gerade in der Ablehnung der Täterrolle im Ressentiment das Verdrängte wiederkehrt.

Die jungen Israelis erzählen, wie es ist, in traumatisierten Familien aufzuwachsen, und wie aus dem Trauma dann das nächste Unrecht entsteht, wenn plötzlich das Gespenst der einer Massenerschießung entkommenen Großmutter dem Enkel bei einem Einsatz in den besetzten Gebieten erscheint – und der Enkel dann wie ferngesteuert im Reflex einen Palästinenser ermordet. Die Palästinenser, deren Szenen davon handeln, wie sie in diesem Konflikt instrumentalisiert werden, von der brutalen Hamas, der korrupten Fatah, die die Hilfsgüter unterschlagen, und den anderen arabischen Staaten, die sie, die Palästinenser, zu Geiseln ihrer Politik machen, statt solidarisch zu sein. Wie sie vor lauter Selbstmitleid unfähig sind, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

Niemand wird geschont, und während man als Zuschauer gerade noch meint, zu erkennen, wo die Grenze von Recht und Unrecht, Opfer und Täter verläuft, würfelt der Abend schon alles wieder durcheinander, und die Gewissheiten zerfallen. Auch ein hochkomischer Abend, dessen Witz allerdings tückisch ist. Ein Abend aber, der auch zeigt, dass man Grenzen erst einmal erkennen und ernst nehmen muss, bevor man sie überwinden kann. Selbst wenn es die Grenzen in einem selber sind.