: Das Drama des begabten Songwriters
Wie man sein Leben auf die Karriere des Popstars ausrichten kann, ohne den großen Durchbruch zu schaffen: Als Kind hatte Ben Kweller seine ersten Bands, mit 15 sollte er der neue Kurt Cobain werden, mit 18 hatte er sein erstes Comeback. Heute singt er traurige Lieder im Stil der Siebziger
VON HARALD PETERS
Er hat bereits einiges hinter sich. Mit neun Jahren nahm Ben Kweller an einem Songschreiber-Wettbewerb des Billboard Magazine teil und bekam für seine Arbeit eine lobende Erwähnung. Mit zehn hatte er bereits etliche Bands ins Leben gerufen, darunter Formationen mit solch vielversprechenden Namen wie Mirage, Foxglove oder Green Eggs & Ham. Doch weil Kinder gemeinhin etwas sprunghaft sind, war es für ihn mit elf Jahren wieder Zeit für etwas Neues – also gründete er die Grungeband Radish.
Nachdem es Kweller mit zwölf gelingen sollte, auf dem weithin unbekannten Label Practice Amp Records eine Radish-EP sowie das Album „Dizzy“ zu veröffentlichen, sprach sich die Kunde vom musizierenden Wunderkind auch langsam in den Büroetagen der Plattenfirmen herum, weshalb Radish bei der Suche nach dem nächsten großen Ding bald als die heißeste Band ohne Vertrag gehandelt wurden, die es in den USA im Frühjahr 1996 noch auf dem freien Markt gab. Damals war Kweller fünfzehn. Das einige Monate später veröffentlichte Album „Restraining Bolt“, das Kweller als eine Art jugendlichen Kurt Cobain etablieren sollte, floppte allerdings spektakulär.
Wegen mangelnden Interesses lösten sich Radish dann 1999 auf. Doch nur wenige Monate sollten vergehen, bis Ben Kweller sein erstes Comeback in Angriff nahm. Im Alleingang veröffentlichte der damals 18-Jährige seine Solo-EP „Freak Out, It’s Ben Kweller“, die den jungen Mann aus Texas als Singer/Songwriter etablieren sollte. Plötzlich klang er nach Weezer, Beck, Ben Folds und Frank Black. Das zwei Jahre später veröffentlichte Debüt „Sha Sha“ verfestigte den Eindruck, doch auf seinem neuen Werk „On My Way“ hat er die Richtung schon wieder gewechselt. Zwar erinnert nun endgültig nichts mehr an den Radish-Sänger, der mit heiligem Ernst gegen das fahrlässige Abfackeln von Kirchen („Dear Aunt Arctica“) wetterte und seine Stimme dabei so authentisch angsterfüllt und gequält klingen ließ, wie es in der Zeit nach Nirvana gemeinhin üblich war.
Doch dafür erinnert Ben Kweller heute an alles andere. Vor allem Dinge, die gespielt, gesungen und erdacht wurden, bevor er überhaupt das Licht der Welt erblickte, haben es ihm neuerdings angetan; selbst seine Jeans trägt er auf dem Albumcover in der Mode von 1975. Folglich lauten seine musikalischen Vorbilder jetzt Lou Reed, Elton John, Billy Joel, Big Star, Cheap Trick und die ganz frühen Jonathan Richman & the Modern Lovers, wobei er sich inhaltlich auch gern an den ironischen Texten der etwas späteren Jonathan Richman & the Modern Lovers orientiert. Auf jüngere Künstler bezogen, könnte man sagen, er sei die perfekte Mischung aus den Strokes und Adam Green. Damit hätte er zwar gute Chancen gehabt, im Rennen um den Titel der angesagtesten „Retroscheibe des Monats“ mitzumischen, doch entweder sind ihm die Libertines dazwischen gekommen oder die zuständige Promoabteilung hat geschlafen.
Ben Kweller hat sich hingegen Mühe gegeben. Er hat sich mit Ethan Johns einen retroerfahrenen Produzenten (Kings Of Leon) engagiert, der alle Tricks und Kniffe kennt, die ganz, ganz früher nah am Puls der Zeit waren. Mit den Sear Sound Studios in New York wählte er einen Aufnahmeraum, der für seine besonders alte Technik bekannt ist. Die Songs ließ er quasi live einspielen, wobei interessanterweise das Tragen von Kopfhörern streng verboten war. Zur vollen Ausnutzung des Stereoeffekts wurden die zwei Gitarren voneinander getrennt in die Kanäle gespeist; Ben Kweller hört man daher links, seinen zweiten Gitarristen Mike Stroud hingegen rechts. Für jeden Titel gab es drei Versuche und schon nach drei Wochen war man mit den Aufnahmen durch. Tatsächlich sind Kweller dabei die insgesamt elf Titel eigentlich ganz gut gelungen. Doch dummerweise hat Kweller aber wieder einmal vergessen, ihnen auch etwas Eigenes hinzuzufügen – weswegen man beim Hören nicht wirklich seine Stücke hört, sondern durch sie hindurch hört, um zu erfahren, was er wohl hörte, bevor er sie schrieb.
Trotz mehrfacher und teils drastischer Richtungsänderungen in seiner nunmehr rund zehnjährigen Geschichte im plattenproduzierenden Gewerbe hat Kweller sich im Grunde nie verändert. Er hat stets anderen Leuten hinterherkomponiert und ging dabei mit so viel Hingabe ans Werk, dass er sich selbst dabei vergaß. Der erste Gedanke, der einem bei seinem neuen Album kommt, ist, dass man sich vielleicht diese oder jene Platte mal wieder anhören könnte, und achtet man auf die Texte, fällt einem sofort ein, wie andere Künstler wohl die entsprechende Zeilen formuliert hätten. Und was fällt einem zu Ben Kweller ein? Dass „On My Way“ wirklich der falsche Albumtitel ist, wenn sein Weg nicht das Beschreiten längst ausgetretener Pfade sein soll.
Ben Kweller „On My Way“ (RCA/BMG)