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Archiv-Artikel

Gensaat sät Ärger bei den deutschen Bauern

Regierung soll beim Saatgut auf Reinheitsgebot pochen, fordern Landwirte. Ende Oktober entscheidet Brüssel

BERLIN taz ■ Nur noch ein „Reinheitsgebot für Saatgut“ könne einen „Bauernkrieg auf dem Lande“ verhindern, warnte gestern in Berlin der grüne Europaabgeordnete Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf. Gemeinsam mit einem breiten Bündnis aus Bauern-, Verbraucher- und Umweltverbänden sowie Gewerkschafts- und Kirchenorganisationen forderte er in einem offenen Brief die Bundesregierung auf, sicherzustellen, dass auch künftig noch eine gentechnikfreie Landwirtschaft möglich ist.

Zwar gibt es seit einiger Zeit neue EU-Vorschriften für die Freisetzung von Gentech-Organismen und die Kennzeichung von Gentech-Produkten. So müssen Lebens- und Futtermittel, die aus „technisch unvermeidbaren“ Gründen bis zu einem Grenzwert von 0,9 Prozent genkontaminiert sind, nicht als Gentech-Ware gekennzeichnet werden.

Die EU-Kommission sieht mit diesen Regelungen die Voraussetzungen erfüllt, damit das seit Jahren geltende De-facto-Moratorium für Gentech-Pflanzen beendet wird. Wie dann Gentech-frei produzierende Landwirte verhindern sollen, dass ihre Ernten durch Gentech-Pollen vom Nachbarfeld verunreinigt werden, hat die EU-Kommission nicht gesagt. Auch wer im Schadensfall die Haftung übernimmt, ist nicht geregelt. Das sollen die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten selbst übernehmen. Geschädigten Bauern bleibt nur die Möglichkeit, ihre Nachbarn zu verklagen.

Baringdorf, der selbst Biolandwirt, fordert EU-weite Maßnahmen, die die Koexistenz von Gentech- und konventionell produzierende Landwirte sicherstellen. Dass nur die Bauern, die Gentech-Pflanzen anbauen, zu Schadensersatzleistungen herangezogen werden sollen, findet Baringdorf nicht richtig. Das aber sieht der noch interne Entwurf von Verbraucherschutzministerin Renate Künast (Grüne) für ein neues Gentechnikgesetz vor. Baringdorf fordert, dass auch die Unternehmen, die die Gentech-Pflanzen auf den Markt bringen, einen Teil der Verantwortung übernehmen müssten.

Weiteres Unheil wird von einem Vorschlag der EU-Kommission zur Regelung der Gentech-Verunreinigungen bei Saatgut befürchtet. Nach dem Vorstellungen der Kommission soll auch beim Saatgut eine „unbeabsichtigte“ und „technisch unvermeidbare“ Verunreinigung zulässig sein, ohne dass eine Kennzeichnung vorgeschrieben ist. Je nach Pflanzenart beträgt dieser Grenzwert zwischen 0,3 und 0,7 Prozent.

Das sei viel zu hoch, kritisieren die Verbände in ihrem offenen Brief. „Wenn derart verunreinigtes Saatgut angebaut wird, kann nicht gewährleistet werden, dass die Ernte oder die daraus hergestellten Lebensmittel unter dem 0,9-Prozent-Wert bleiben. Für einen Landwirt könnte das bedeuten, dass er, obwohl er extra Gentech-freies Saatgut eingekauft hat, im Endeffekt doch einen Gentech-Label auf seine Ware kleben muss. „Für einen Ökolandwirt bedeutet das den Ruin“, meint der Europaabgeordnete Baringdorf. „Wer würde dann noch bei mir einkaufen?“

Der Grenzwert für Saatgut müsse daher auf 0,1 Prozent herabgesetzt werden, fordern die Verbände. Das ist die derzeitige technische Nachweisgrenze für Gentechverunreinigungen.

Am 27. Oktober will die Kommission im Saatgutausschuss ihren Entwurf abstimmen lassen. Nach Einschätzung von Baringdorf wird sich die Mehrheit des Ausschusses wahrscheinlich nicht hinter den Kommissionsvorschlag stellen. Totzdem besteht die Gefahr, dass die Kommission sich durchsetzen wird.

Durch Verfahrenstricks hat die Kommission sichergestellt, dass ihr Entwurf nur durch eine Zweidrittelmehrheit gekippt werden kann. Und das Parlament selbst soll nach dem Willen der Kommission nicht einmal angehört werden. WOLFGANG LÖHR