: Im Bauch der Zeitung
Tief berührt nimmt die taz Abschied von ihrem Penny-Markt. Danke – und was nun?
Wir müssen diese Woche um Verständnis bitten. Wir sind halt einfach nicht gut drauf. Schreiben Sie uns keine bösen Leserbriefe, kündigen Sie Ihr Abo nicht, beschimpfen Sie uns auch sonst nicht. Respektieren Sie unsere Trauer. Denn uns geht es ein bisschen wie dem Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe nach dem Tod seines Freundes Friedrich Schiller. „Ich verliere“, schrieb Goethe, „die Hälfte meines Daseins.“
Vorigen Samstag hat der Penny-Markt neben dem taz-Gebäude dichtgemacht. Einfach so. Ohne uns zu fragen. „Wir danken Ihnen für Ihr Vertrauen“, stand auf einmal auf den gelben Plakaten, die bislang für Sonderangebote warben. Die Regale wurden immer leerer, Verwahrlosung breitete sich aus. Am Ende lagen die Vitaminpillen dort, wo eigentlich das Mineralwasser hingehörte. Nussschokolade gab es überhaupt nicht mehr.
Viele Jahre lang war dieser Laden – nun ja: vielleicht nicht der Kopf, wohl auch nicht die Seele, aber zumindest doch der Bauch dieser Zeitung. In einem riesigen Einkaufswagen beschaffte Nancy Krueger, unsere Mitarbeiterin für „Kantine und Soziales“, allmorgendlich den Proviant für viele Dutzend Mitarbeiter: Milch und Butter, Fleischsalat und spanische Chorizo-Wurst. Nur der Kaffee kam stets aus Nicaragua und das Brot vom Kreuzberger Biobäcker.
Aber auch privat traf sich „tout taz“ an den Transportbändern der Penny-Kasse: tagsüber mit dem Proviant für zwischendurch, nach Redaktionsschluss mit den Zutaten für den heimischen Kochtopf. Selbst der Umweltredakteur, der in seinen Kommentaren stets das Hohelied der biologischen Landwirtschaft sang, ließ sich bisweilen mit einem Karton voller Discountartikel erwischen. Und zeigte noch nicht mal ein schlechtes Gewissen.
Über das italienische Restaurant, das sich im Erdgeschoss des taz-Gebäudes befindet, beschwert sich fast jeder mal: schlechter Service, hohe Preise, immer nur Nudeln. Über Penny aber schimpfte nie jemand. Im Gegenteil: Jede Neuerung im Sortiment wurde wohlwollend aufgenommen.
Bei Penny lernte man Wörter, die zuvor niemand kannte. „Stichfest“ zum Beispiel. Darunter verstand der Discounter einen Joghurt, der gegen alle Modetrends nicht cremig gerührt war. Mit der Penny-Diät – Buttermilch und Vollkornbrötchen für zusammen 54 Cent – konnte man in sechs Monaten zehn Kilo abnehmen, und das sogar nachhaltig. Mit Penny-Eis – zwölf Magnum-Imitate für zusammen 1,99 Euro – konnte man sich die Sympathien der Kollegen sichern, ohne dass es viel kostete. Erregt diskutiert wurde auch die Frage, welchen Penny-Wein man trinken konnte: War der Chianti mit dem Label „Conti Serristori“ gerade noch trinkbar? Oder sollte man lieber zum kalifornischen Cabernet greifen, der einen Euro teurer war?
Zugegeben: Bei den Weinen war Penny ziemlich überteuert, zumindest im Verhältnis zur Qualität. Aber darum ging es ja gar nicht. Es ging um Übersichtlichkeit in unübersichtlichen Zeiten oder, wie die Soziologen sagen: um die Reduktion von Komplexität. Ganz ähnlich wie eine Tageszeitung versteht es der Discounter, eine vielschichtige Welt von Waren zu ein paar klaren Thesen zuzuspitzen. Espresso „Magico“, 2,99 Euro: Das versteht jeder, der sich andernorts zwischen „Crema Gusto“ und „Qualità Rossa“ nicht entscheiden kann.
Aber von Leuten, die bloß ein Päckchen Kaffee kaufen oder einen Becher Buttermilch, kann auch ein Discounter heute nicht mehr leben. Statt der kleinen Läden in der Innenstadt eröffnet Penny jetzt große Geschäfte auf der grünen Wiese, wo die Leute für 100 Euro gleich den ganzen Kofferraum mit Lebensmitteln voll tanken. Das ist so traurig wie der Anblick leerer Regale, weshalb man in den letzten Penny-Tagen kaum noch tazler in der Filiale sah. Schließlich ist auch Goethe schon der Beerdigung von Schiller fern geblieben.
RALPH BOLLMANN