: Arme Brüder aus dem Osten
Hirsch, Kreuz, Kranz: In der Volksbühne buhlten die slowenischen Punks Laibach wieder mal um Aufmerksamkeit. Doch die Zeit der Ideologien ist vorbei, das Publikum reagierte mit Schulterzucken
von SUSANNE MESSMER
Im Foyer der Volksbühne sieht es eigentlich aus wie vor jedem x-beliebigen Konzert. Vereinzelt sieht man zwar Leute mit hochgeschlossenen Hemden und engen Krawatten, mit Armeeuniformen oder einem eisernen Kreuz am Revers, hier und da gibt es ein paar Dreißig- bis Vierzigjährige mit russischen Pelzkäppchen – insgesamt aber nimmt an solchen ironischen Spielereien hier keiner Anstoß und die Stimmmung ist weder besonders provokant noch irre aufgeregt. Das Spiel mit Symbolen kennt man von Laibach und Laibachs Fans nun schon seit 23 Jahren. Eine lange Zeit, die die Band nicht davon abgehalten hat, ihr in der Quersumme fünfzehntes Album zu veröffentlichen und hier an ihren Auftritt in der Volksbühne im Oktober vor zehn Jahren zu erinnern, als sie dort einen fiktiven Staat errichteten, mit Grenzen und Visa und allem Drum und Dran.
Mit der leicht gelangweilten Stimmung und dem unweigerlichen Gefühl, dass hier schon sehr lange die Uhren stillstehen, geht es dann auch im Konzert weiter. Trotz gigantischer Lichtshow, massig Leuchtern und Scannern, 15 oder 16 Lichtflutern und zwei riesigen Ventilatoren, durch die von hinten Licht und Nebel in den Raum geblasen wird, tut sich wenig im Publikum. Und auch als Sänger Milan Frez endlich die Bühne betritt, gibt es kaum Reaktionen. Alles beim Alten: Die ledrige Schlachterschürze des Sängers, seine stilisierte slowenische Hirtenkappe, die behäbigen Bewegungen und andere teutonische Attitüden. Brachialer Sound aus Pauken und Posaunen, Ballermann und Wagnerpomp, der brünftige Gesang, die martialischen Marschrhythmen. Am vorderen Bühnenrand: Links und rechts neben dem Sänger zwei Trommlerinnen, die sich das ganze Konzert über exakt synchron bewegen. Im Video hinter der Bühne laufen zerklüftete Gebirgsketten vorbei, die obligatorischen Springerstiefel, ein Hirsch, ein Kreuz, ein Zahnrad, verschwommene Christusfiguren und Dornenkränze, Blut und Boden, Stalinismus, Religion, in roten Schriftzügen die Worte „Totalitarismus“, „Demokratie“ und „Faschismus“. Alles altbekannt. Kurz: ein starres Kasperletheater, das heute keiner mehr so erschröcklich findet, wie es gefunden werden möchte.
Als 1983 Laibach ganz im Geiste von Punk antraten, den großen Brüdern der antiautoritären Linken im Westen Hoffnung zu geben, sie zu lehren, dass Aufklärung auch zurückschlagen kann, da war das alles noch anders: wichtig, gefährlich, witzig und sarkastisch zugleich. Laibach kamen an, besonders in Deutschland, man regte sich über sie auf, die sich den Namen der deutschen Besatzer Ljubljanas im Zweiten Weltkrieg gegeben hatten. Als sie 1987 bei einem sozialistischen Plakatwettbewerb einen Entwurf einschickten, der von einer faschistischen Vorlage übernommen war, und die Juroren dieses Artwork für ein gelungenes Stück sozialistischen Realismus hielten, demonstrierten sie: Der Prolet- und Maschinenkult im Nationalsozialismus war weniger weit weg von der realsozialistischen Darstellung des heroischen Kämpfers für den gerechten Kommunismus als gedacht. Laibach ließen Zeichensysteme gegeneinander antreten und waren die, die dabei zuletzt lachten. Indem sie sich als Speerspitze der NSK, der Neuen Slowenischen Kunst verkauften, einem anonymen Künstlerkollektiv aus Ljubljana, in dem sich Musiker, Maler, Theatermacher und Philosophen versammelten, demontierten sie den avantgardistischen Anspruch auf Schöpfertum und Originalität.
Doch dann kamen die Neunziger, das Ende der großen Ideologien und der Krieg auf dem Balkan. Laibach erklärten weiterhin ihren semiologischen Krieg – den Krieg gegen die Übermacht des Kapitals, gegen die Kolonisierung des Ostens, gegen die Nato, die damals, wie es schien, noch die Vision einer monolithischen Weltordung durchsetzen wollte, und gegen die vermeintlich religiös motivierten Konflikte auf dem Balkan, bei denen es doch eher um den Kampf um einen Platz an der Sonne ging, um die Selbstdarstellung als letzte Bastion der europäischen Zivilisation. Das Problem: All diese komplizierten Konflikte spielten sich nicht mehr auf der symbolischen Ebene ab. Laibachs Methode wirkte immer ranziger.
Heute wirken Laibach endgültig nur noch wie Rammsteins arme Brüder aus dem noch tieferen Osten, die von der Geschichte überholt wurden – wie Samson ohne Bart, wie ein Kind, das in der Luft weiterläuft, nachdem man es an der Latzhose hochgehoben hat. Das ist ungerecht, das ist tragisch, denn schließlich sind Laibach die Einzigen aus dem Ostblock, die international bekannt geworden sind. Es ist schade, dass sie wie Rammstein nur noch ihre eigene Verweigerung verwalten. Wenn man bedenkt, dass sie bestimmt genauso nette Familienväter sind wie Rammstein, dann hätten sie es doch wenigstens verdient, mehr Geld zu verdienen. Traurig, dass sie wie Rammstein vielleicht nie auf die Reihe bekommen werden, wie interessant die kleinen Strukturen des Entzugs und des Privaten im Sozialismus waren – viel interessanter als der Staat und die Ideologie.
Ihr aktuellster Versuch, noch einmal mit einer deutlichen Stellungnahme gegen den Irakkrieg auf sich aufmerksam zu machen – „von Moses bis Mohammed“ –, wirkt ebenso hilflos wie der Wunsch – „hu ha“ –, wie die wilden Barbaren aus dem Osten zu wirken, die Disneyland schon irgendwie kleinkriegen werden.
Der Sound Laibachs in der Volksbühne ist sauber wie von CD, es gibt keine Ansagen, keine Pannen und nur eine einzige Zugabe mit einer der berühmten comicartigen Coverversionen von früher, „Sympathy for the Devil“ von den Rolling Stones. Doch während früher das devote Publikum diese Demütigungen freudestrahlend entgegennahm, reagiert es heute nur noch schulterzuckend.
Im Künstlerhaus Bethanien ist derzeit eine Ausstellung der Künstlerkollektivs Irwin zu sehen, die wie Laibach der NSK, der Neuen Slowenischen Kunst, angehören. Bis 26. 10., Mi.–So. 14–19 Uhr, Mariannenplatz 2, Kreuzberg