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Archiv-Artikel

Mit Juristen gegen Treuhand

Eine gemeinsame Expertengruppe soll die Ansprüche deutscher Alteigentümer in Polen abwehren. Schröder will das „Wunder der Aussöhnung“ nicht von „merkwürdigen Organisationen“ stören lassen

BERLIN afp ■ Deutschland und Polen wollen gemeinsam Entschädigungsklagen deutscher Vertriebener entgegenwirken. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und der polnische Ministerpräsident Marek Belka kündigten gestern nach einem Treffen in Berlin die Bildung einer Expertengruppe an, die eine gemeinsame Position zur Zurückweisung der Forderungen deutscher Alteigentümer erarbeiten soll. Das „Wunder der Aussöhnung“ beider Länder dürfe nicht von „Ewiggestrigen“ beeinträchtigt werden, sagte Schröder. Belka bekräftigte, die Regierung in Warschau betrachte sämtliche Entschädigungsansprüche als „abgeschlossenes Kapitel“.

Die Juristengruppe solle eine Position ausarbeiten, mit der individuelle Klagen deutscher Vertriebener vor Gericht unmöglich würden, sagte Belka. Aus Sicht seiner Regierung gebe es keine Rechtsgrundlage für jedwede Forderung nach Kriegsentschädigungen. Belka warnte vor einer Fortsetzung der Debatte. Deutschland und Polen hätten derzeit die „besten“ bilateralen Beziehungen ihrer Geschichte; Entschädigungsforderungen könnten diesen jedoch Schaden zufügen.

Schröder übte scharfe Kritik an klagewilligen Vertriebenen. Die erfolgreiche Bilanz des deutsch-polnischen Verhältnisses dürfe nicht durch die Tätigkeit von „Randgruppen“ verdrängt werden wie Vertriebenenverbänden und „merkwürdigen Organisationen, die sich unverdienterweise mit dem Namen Preußens schmücken wollen“, sagte der Bundeskanzler mit Blick auf die „Preußische Treuhand“.

Die von dem CDU-Mitglied Rudi Pawelka geführte, private Interessengemeinschaft Vertriebener hatte mit ihrer Ankündigung von Schadenersatzklagen in den vergangenen Wochen für Verstimmung zwischen Warschau und Berlin gesorgt. In einer Rede zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstandes Anfang August wies Schröder die Forderungen zurück. Ungeachtet dessen verabschiedete das polnische Parlament am 10. September eine Resolution, in der Belkas Regierung dazu aufgefordert wurde, in Berlin Reparationen zu verlangen.

Beide Regierungen seien sich einig, dass es weder „rechtlich noch politisch“ Raum für Kriegsentschädigungen gebe, bekräftigte Schröder. Er zeigte sich zuversichtlich, dass die Rechtsauffassung Deutschlands und Polens auch vor internationalen Gerichten Bestand haben werde. Die Unionsführung werde hoffentlich diejenigen „zur Räson bringen können“, die das deutsch-polnische Verhältnis mit „ewiggestrigen Parolen“ stören wollten, fügte der Kanzler hinzu.

Zur Zusammensetzung des Juristenteams machten beide Regierungschefs keine näheren Angaben. Nach ARD-Informationen will Deutschland den renommierten Heidelberger Völkerrechtler Jochen Frowein mit der juristischen Expertise betrauen. Für die polnische Seite soll Jan Barcz vom Warschauer Institut für Internationale Angelegenheiten im Gespräch sein.

Schröder kündigte weitere Schritte zur Verbesserung der Zusammenarbeit beider Länder an. Bis November werden demnach Koordinatoren für deutsch-polnische Beziehungen ernannt. Die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) solle in eine Stiftung umgewandelt und von deutscher Seite mit einem Kapital von 50 Millionen Euro ausgestattet werden. Ein deutsch-polnisches Jahr soll vor allem mit Veranstaltungen in Kunst und Kultur zum beiderseitigen Verständnis beitragen.

Der Chef der „Preußischen Treuhand“ zeigte sich unbeeindruckt. Er werde voraussichtlich im Oktober bekannt geben, „wie und wo geklagt wird“, sagte Pawelka gestern auf Anfrage. Möglich seien Verfahren auf europäischer Ebene, aber auch bei deutschen und US-Gerichten.