: Geschichte dekodieren
Morgen stellt die Künstlerin Jokinen das umstrittene Denkmal des Kolonialoffiziers Hermann von Wissmann wieder auf
von Jonas Berhe
Es mutet wie eine Provokation an: Die Bronzefigur des Kolonialisten, ihm zu Füßen ein ihn ehrfürchtig anschauender Askari nebst Reichsflagge und totem Löwen, sinnbildlich für den früh verstorbenen Wissman, soll in Hamburg wiedererstehen. Damit wäre Hamburg nach Bad Lauterberg im Harz die zweite Stadt, in der ein Denkmal des 1905 verstorbenen Kolonialverbrechers stünde. Hermann von Wissmann, zunächst Reichskommissar von damals „Deutsch- Ostafrika“ wurde 1895 Gouverneur des besetzten Gebietes und war für die blutige Niederschlagung des so genannten „Araberaufstands“ verantwortlich.
Ältere HamburgerInnen werden sich erinnern, dass die Figur 1968 von aufgebrachten Studenten gestürzt wurde. Mit dem Sturz sollte an die kolonialistische Vergangenheit der Hamburger Universität – immerhin war sie 1919 aus dem 1908 gegründeten Kolonial-Institut hervorgegangen – erinnert werden.
Vor allem „das Auf und Ab der Figur“ habe sie interessiert, sagt die Künstlerin Jokinen, die das Projekt initiiert hat. Erbaut in Berlin, eingeweiht 1909 in Daressalam, wieder aufgestellt 1922 in Hamburg und 1945 von alliierten Bomben beschädigt, stand das Wissmann-Denkmal ab 1949 wieder restauriert vor der Universität. Während die Statue in Bad Lauterberg allerdings kolonialharmonisierenden Vereinen wie dem „Traditionsverband ehemaliger Schutz- und Überseetruppen“ als Pilgerstätte dient, erhofft sich Jokinen von der Aufstellung der Bronzefigur die Sichtbarmachung „eines schwergewichtigen Dokuments beinahe vergessener Stadtgeschichte“. Dabei fragt sie vor allem nach Dekodierung und kritischer Aufarbeitung deutscher Kolonialgeschichte, wie sie sich anhand von Denkmälern im öffentlichen Raum offenbart. Das sowohl künstlerisch als auch politisch intendierte Projekt darf gleichwohl als Versuch gelten, eine Debatte um die Kolonialverbrechen der Deutschen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Jokinens Projekt wirkt partizipativ und stellt somit ein Gegengewicht zu den eher akademischen Teilbeständen der gesamten postKOLONIAL-Reihe dar. Dabei verortet sich der Prozess nicht nur auf der Überseebrücke, wo die Figur bis November 2005 stehen wird, sondern findet seinen Gegenpart auch im Internet. Hier wird auf der Seite www.afrika-hamburg.de umfangreiches Informationsmaterial geboten, auf dessen Grundlage Interessenten ihr Votum bezüglich des weiteren Schicksals des Wissmann-Denkmals äußern können. Ob Wissmann nach der ihm zugestandenen Zeit wieder eingelagert wird oder ob die Darstellung bzw. die Platzierung des Denkmals verändert wird, sollen die BesucherInnen der Website nach eingehender Auseinandersetzung mit der Person Wissmanns und deutscher Kolonialgeschichte entscheiden.
Zu den Adressaten dieser niedrigschwelligen und mitunter sicherlich problematischen Auseinandersetzung dürfen sich alle zählen, die sich auf beide Austragungsorte einlassen. „Gerade für SchülerInnen von unschätzbarem Wert“, urteilte Anja Kuhr, die Sprecherin der CulturCooperation Hamburg, der Veranstalterin des Gesamtprojekts. Da diese Zielgruppe ihr Wissen um deutsche Kolonialgeschichte erschreckend oft über den „Traditionsverband“ recherchiere, seien Projekte wie dieses wünschenswert. Bleibt nur zu hoffen, dass sich das interdisziplinär arbeitende und Fragen des Umgangs mit Kolonialdenkmälern stellende Projekt nicht als zweites Bad Lauterberg entpuppt.
Aufstellung morgen vormittag auf der Überseebrücke nahe „Rickmer Rickmers“ und Ditmar-Koel-Straße (U/S Landungsbrücken) Performance der bildenden Künstlerin Jokinen, der Schauspielerin Annette Uhlen und der Rapperin MC A.D.O.P. http://www.afrika-hamburg.de (ab 30.09.04) Kontakt: Jokinen, info@afrika-hamburg.de Veranstalterin: CulturCooperation e. V., info@culturcooperation.de Ein Projekt im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Vom Togokai zum Tanzaniapark – Hamburg postkolonial“ (http://www.hamburg-postkolonial.de) und des Programms „Kunst im öffentlichen Raum“ der Kulturbehörde Hamburg