: Dämmern gegen Nazis
Nicht diskutieren, lieber einig sein: Michel Friedman und Hannes Heer redeten im Rahmen des Internationalen Literaturfestivals im HAU 1 über Vergangenheitsbewältigung und Rechtsradikalismus. Vielleicht war es ihre Rolle als irgendwie Gescheiterte, die beide so friedlich und brav vereinte
Eigentlich war der Zeitpunkt gut gewählt: Ob Flick, das Führerbunker-Drama „Der Untergang“ oder die Wahlen in Sachsen und Brandenburg, die Frage nach dem Umgang mit der NS-Vergangenheit ist im Schwange. „Vom Verschwinden der Täter“, eine Podiumsdiskussion im Rahmen des vierten „Internationalen Literaturfestivals“, schien einiges zu versprechen: Michel Friedman, wieder aktiver Fernsehmoderator und ehemaliger Vizepräsident des Zentralrats der Juden, und Hannes Heer, umstrittener Leiter der ersten, 1999 zurückgezogenen „Wehrmachtsausstellung“, sollten über die Frage diskutieren, ob die Deutschen wieder auf dem Weg sind, die NS-Vergangenheit umzudeuten und in eine neue Opferrolle zu fallen.
Und tatsächlich gab es an diesem Abend einen Rückfall in die Opferrolle, allerdings eher auf Seiten des gequälten Publikums, das allem Möglichen folgen konnte, nur keiner Diskussion. Vielleicht war es das fehlende rote Sofa, vielleicht war es die Rolle als Desperados der deutschen Medienwelt, die beide als irgendwie spektakulär Gescheiterte zu solch langweiliger Einigkeit zusammenschweißte.
Dramaturgisch war schon die Einstiegsidee keine Glanzleistung. Heer las aus seinem Buch „Vom Verschwinden der Täter“, seiner Abrechnung mit der neuen Wehrmachtsausstellung, die nach seiner Entlassung komplett neu gestaltet worden ist. Doch statt dann in eine Diskussion zu treten, beschränkte sich der Diskussionspartner Friedman auf ein wohlwollendes Nicken und ging zu seinem eigenen Vortrag über. Er dozierte über die Verdrängung des Holocaust, die Gefahr des Rechtsradikalismus, die Notwendigkeit, sich aktiv mit Zivilcourage dem Thema zu stellen usw. usf.
Alles richtig, dachte man sich, während man dem feurigen Dozenten zustimmend nickend folgte. Aber nach nunmehr zwei Vorträgen erwartete man dann doch wenigstens den Hauch einer Diskussion. Heer allerdings konnte Friedman in allen Punkten nur lebhaft beipflichten („ich würde es genauso beschreiben“). Warnte Friedman etwa vor dem Erstarken des Rechtsradikalismus, bemühte sich Heer, noch eins draufzusetzen: „Mir ist jedes Prozent zu viel.“ Einmal meinte man fast so etwas wie Widerspruch zu hören, als Friedman vom Versäumnis der 68er sprach, den Konflikt mit der Elterngeneration wirklich ausgetragen zu haben, und Heer sich wohl angesprochen fühlte. Aber vielleicht war es auch nur ein Murmeln.
Auch der Moderator Jörg Hafkemeyer brachte keine rechte Spannung ins Geschehen. Möglicherweise lag es daran, dass er an diesem Tag schon eine Moderation hinter sich hatte, aber immerhin fragte er einmal ins Publikum, ob nicht mal jemand was fragen wolle, „sonst reden wir einfach weiter“. Ein schon etwas erschöpft wirkender Zuhörer ergriff dann auch wirklich schüchtern das Wort und stellte leider die Frage: „Was wäre denn zu tun?“. Daraufhin fing Friedman noch mal von vorne an und rief schließlich dem jungen Mann zu: „Man muss streiten.“
Spätestens hier packte den dahindämmernden Zuhörer bei so viel Aufforderung zur Einmischung doch etwas das schlechte Gewissen. Dann aber nahm ein Zuhörer die Aufforderung zum Debattieren tatsächlich ernst und hielt dagegen, mit den Nazi-Holzköpfen könne man nicht diskutieren. Er schlug vor, über die DDR, die er „zum Glück nur zweimal besucht“ hatte, als eine der Ursachen des Rechtsradikalismus zu reden. Da wurde Friedman dann plötzlich doch einmal wütend – schimpfte, er sei schon oft in Ostdeutschland gewesen und froh darüber – einen kurzen Moment schien es, als käme schließlich Leben in die Veranstaltung. Als dann aber der Mann im Publikum etwas von „linker Arroganz“ sagte, ergriff der Moderator unerwartet die Gelegenheit, in den Abend einzugreifen und diesen winzigen Anflug von Diskussion im zaghaften Keim zu ersticken.
Aber immerhin riss die kleine Schlussaufregung den Rezensenten aus dem Dämmerzustand, falls er etwas nicht mitbekommen haben sollte, tut es ihm leid.
CHRISTIAN BERNDT