: Die Hauptstadt der Einheit
Sieben Rapper, drei Sprachen, eine Stadt: Mit „In da City“ hatten sie einen veritablen Sommerhit. Nun entfachen Culcha Candela aus Berlin auf ihrem Album „Union Verdadera“ ein echtes Feuerwerk
VON MIRKO HEINEMANN
Im Hof des Berliner Sage-Clubs dampft es. Es dampft aus Löchern im Boden, es dampft aus dem Schornstein des weißen Küchenwagens, und es dampft aus einem Loch in der verrotteten Backsteinfassade – dem Eingang des Clubs.
Drinnen geht es in einen weiteren Hof. Er wird von einem Zelt aus Pappmaché überdacht, das sich wie eine Blüte nach oben hin öffnet. Auch darunter dampft es – allerdings nur aus den Kaffeetassen. Menschen aller Hautfarben drängen sich aneinander vorbei und begrüßen sich mit dem Gruß der Rastafaris. Sie halten die geballten Fäuste aneinander, dann führen sie die Faust ans Herz, dazu ertönt ein lautes „Reee-spect“. Hinter Stellwänden abgetrennt: eine Garderobe. Darin warten aufwändig geschminkte junge Frauen auf ihren Einsatz. Von der Treppe ruft ein spindeldürrer Typ in sein Megafon: „Wir suchen Maria. Maria soll sich am Set melden.“ Kurz darauf sprintet ein Mädchen mit Afrofrisur aus der Garderobe.
Hier und heute drehen Culcha Candela ihr zweites Video. Nachdem die siebenköpfige Berliner Vokalistentruppe mit „In da City“ bereits einen veritablen Sommerhit hingelegt hat, legt sie nun mit ihrem Album „Union Verdadera“ und der gleichnamigen Single nach. Das Stück mit dem mitreißenden Latin-Groove, gesungen und gerappt auf Spanisch, Deutsch und Englisch, ist gewissermaßen die Selbstbeschreibung der Band.
„Union Verdadera, die wahre Einheit, das sind wir“, erklärt eine Stimme aus dem Dunklen. Wir sitzen zu viert und eng beieinander im unbeleuchteten Umkleideraum. Der Sprecher mit den Dreadlocks stellt sich vor: „Johnny Strange. Ich bin für die Ragga-Styles zuständig.“ Seine Hand hält er zur Begrüßung lässig in die Luft. Neben ihm sitzt Chino, seines Zeichens DJ. Der dritte, Vokalist Don Cali, wühlt sich durch einen Stapel Kleidung. Die Jungs sollen sich für ihren Einsatz vor der Kamera umziehen.
Ohne gefragt worden zu sein, erläutern sie ihre Herkunft. „Ich komme zur Hälfte aus Uganda, und halb bin ich deutsch“, sagt Johnny Strange. Chino hat „Wurzeln in Südkorea, meine Mutter kommt da her.“ Und Don Cali stammt aus Kolumbien. „Ich zog im Alter von neun Jahren mit meinen Eltern nach Berlin.“ Die Besetzung von Culcha Candela liest sich wie aus dem Wunschkatalog einer Integrationsbeauftragten. Nur ist sie echt.
Von vier Freunden 2002 gegründet, vergrößerte sich die Gruppe mit der Zeit immer weiter. „Am 7. Juli 2002 hatten wir den ersten Auftritt zu siebt“, sagt Johnny – die ideale Größe, wie alle finden. Zahlreiche Auftritte und eine Partyreihe in Berliner Clubs folgen, der Fankreis wird immer größer, bei den letzten Gigs müssen Leute draußen vor der Tür bleiben. Der Name setzt sich zusammen aus „Culcha“, einer Verballhornung des englischen „Culture“, und „Candela“, Licht oder Flamme auf Spanisch: ein Leuchtfeuer zu sein, das ist ihr Programm.
Der Erfolg der musikalisch stark von Vorbildern aus Lateinamerika und Jamaika beeinflussten Rapper ist keine große Überraschung. Nicht erst seit dem Erfolg von Seeed hat Berlin einen Ruf als euro-afrikanische Karibik-Metropole weg. Auch Culcha Candela werden immer wieder gerne mit Seeed verglichen, preist doch ihr Sommerhit „In da City“ genau wie „Dickes B“ die Vorzüge der Großstadt, umrahmt von fetten Dancehall-Beats. Und wie ihre Kollegen Jan Delay, Mellow Mark oder eben Seeed kombinieren auch Culcha Candela ihre Musik mit Texten, die auf eine politische Haltung verweisen.
Die siebenköpfige Kapelle definiert es als ihr Projektziel, dass sich „die Kulturen vermischen sollen“, wie Johnny Strange sagt. Daher sehen sie Politik bereits in ihren Bandstrukturen umgesetzt. „Es gibt bei uns keinen Wortführer. Wenn es zu einem Stück eine Idee gibt, macht sich jeder dazu Gedanken.“ Chino ergänzt: „ Wir sind eher basisdemokratisch veranlagt.“ Und wieder Johnny: „Es kann passieren, dass ganz unterschiedliche Ansichten in einem Lied vorkommen, verschiedene Facetten des gleichen Themas. Es ist eine immerwährende Diskussion.“
Natürlich gibt es Konflikte in der Band. „Wir mussten zuallererst Regeln aufstellen“, sagt Don Cali „Erste Regel: Respekt füreinander – und Unity. Was heißt, wir müssen zusammenhalten, egal was passiert. Wir können nur dann klarkommen, wenn wir ehrlich zueinander sind, wenn wir uns kritisieren können und wenn jeder zurückstecken kann.“ Bei Konflikten spiele weniger die ethnische, sondern die soziale Herkunft eine Rolle. „Manche sind politisch sehr links, andere kommen eher aus einer Schickimicki-Szene.“
Johnny grinst: „Und wir sind aus verschiedenen Berliner Bezirken. Ich fühl mich als richtiger Kreuzberger. Ich habe direkt an der Mauer gewohnt.“ „Ich dagegen bin im Süden von Berlin aufgewachsen“, sagt Chino. „Ey, und ich habe mit der Gang die Straßen von Charlottenburg unsicher gemacht. Das ist was total anderes“, ruft Don Cali aus seiner Ecke mit dem Kleiderstapel.
Inzwischen trägt Don Cali einen Trainingsanzug in Weiß: Es sieht aus, als hätte er einen der legendären Ballonseide-Anzüge bei Dieter Bohlen erstanden und umgefärbt. Auf dem schwarzen T- Shirt darunter ist eine Friedenstaube aufgedruckt.
Mit seiner rauen Stimme und seinem rollenden „R“ scheint Don Cali ins Klischee des Drogenbarons passen zu wollen. Dabei ist der Rapper ein bekennender Familienmensch mit Frau und Kind. Und was in Kolumbien passiert, das gefällt ihm gar nicht: „In Deutschland kann man sich auf der Straße wenigstens sicher fühlen“, sagt er nachdenklich. „Mein größter Traum ist, dass ich es schaffe, Dinge in meiner Heimat zu verändern. Das Stück ‚Colombia‘ auf unserem Album soll die Leute daran zu erinnern, dass es Kolumbien überhaupt gibt. Ich habe mir aber fest vorgenommen, auf dem nächsten Album mehr über die Hintergründe in Kolumbien zu erzählen.“
Politik ist auch für die anderen beiden in der Umkleidekabine wichtig geworden. Der 22-jährige Johnny bringt es auf den Punkt: „Mich hat, wie viele in meinem Umfeld, Politik eigentlich nie interessiert. Erst mit der Band, bei den Auftritten, da merkt man, dass man Verantwortung trägt gegenüber Jüngeren, die einem zuhören oder einen vielleicht sogar als Vorbild verstehen. Deshalb haben wir keinen Bock auf Drogenverherrlichung oder Gangsta-Rap.“
Dann rüttelt leider eine Frau am Vorhang, es wird hektisch in der Umkleide. Der Videodreh beginnt. Draußen auf dem Hof ist es inzwischen am Nieseln. Um den Küchenwagen hat sich eine Pfütze gebildet, groß wie ein Teich. Der Herbst ist da. Was fällt einem dazu ein? Natürlich „Solarenergie“, der vierte Song auf dem Culcha-Candela-Album.
Wie hatte einer der Jungs gesagt: „Das Album ist wie Feuer. Es soll die Leute warm halten bis zum nächsten Sommer.“ Sein Wort gilt.