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„Verrückte Nationen“

Wie komplex ist Krieg? Kann er wirklich nur strategisch und technisch, aber nicht politisch gesehen werden? Ein Gespräch mit dem Dokumentarfilmer Errol Morris zu „The Fog of War“, einem filmischen Rechenschaftsbericht des ehemaligen US-amerikanischen Verteidigungsministers Robert McNamara

Interview ULRIKE HERRMANN

taz: Herr Morris, in Ihrem Film „The Fog of War“ darf der ehemalige US-Verteidigungsminister Robert McNamara fast zwei Stunden lang seine Sicht auf den Zweiten Weltkrieg und den Vietnamkrieg darstellen. Haben Sie nicht befürchtet, dass dies zur Apologie wird?

Errol Morris: Natürlich ist McNamara sehr geübt, Interviews zu geben. Tausende von Journalisten haben ihn schon befragt.

Er selbst sagt offen, dass er nicht so sehr die Fragen beantwortet, die ihm gestellt werden, sondern jene, von denen er hofft, dass sie gestellt würden.

Dennoch zeigt der Film einen zutiefst zerrissenen Mann, der immer noch mit sich kämpft. McNamara ist in der unangenehmen Lage, dass nichts, was er sagen kann, den Vietnamkrieg zu einem gerechtfertigten Krieg macht.

Auffällig ist, dass McNamara sich nicht entschuldigt.

Ich mag es, dass er sich weigert, einfach „sorry“ zu sagen. Man kann den Tod von Millionen von Menschen nicht tilgen.

Aber redet sich McNamara nicht heraus? Nach dem Motto: Jeder Krieg ist so komplex, dass wir Fehler machen müssen?

Natürlich gibt es keine „Komplexitäts-Entschuldigung“, aber Krieg ist unglaublich komplex. Zum Beispiel hatte ich nie zuvor von den Brandbomben auf Japan gehört. Es gibt diese endlose Debatte, ob die Atombomben überhaupt nötig waren. Aber nie wird erwähnt, dass schon mehr als eine Million Japaner verbrannt waren, bevor überhaupt eine einzige Atombombe gezündet wurde. Es gehört für mich zu den eindrucksvollsten Momenten im Film, wenn McNamara die 67 japanischen Städte aufzählt, die durch die Brandbomben weitgehend zerstört wurden. In einer einzigen Nacht, am 10. März 1945, sind allein in Tokio 100.000 Menschen gestorben.

Die Alliierten wussten durch den Krieg mit Deutschland damals längst, dass Brandbomben strategisch sinnlos sind – und haben aus Wut und Rache trotzdem weitergemacht. Ist es nicht zu einfach, wenn McNamara behauptet, Fehler seien erst rückblickend zu erkennen?

Der Zweite Weltkrieg wurde von einer neuen Klasse von Managern geführt, die permanent Statistiken erstellten und die Effizienz gemessen haben. Zu Kriegsbeginn besaßen die USA eine völlig unbedeutende Luftwaffe. Nur wenige Jahre später hatten sie zehntausende von Flugzeugen. Und die B-29 war das komplexeste Flugzeug, das je gebaut wurde.

Komplexität scheint das Schlüsselwort in Ihrem Film zu sein, das spiegelt sich ja auch im Titel „The Fog of War“. Aber als Student haben Sie sich von dieser Komplexität nicht einschüchtern lassen. Sie haben gegen den Vietnamkrieg demonstriert – offensichtlich wussten Sie schon damals, dass dieser Krieg ein Verbrechen ist.

Ich habe in Madison, Wisconsin studiert. Das war eine Hochburg der Kriegsgegner. Für mich war es einfach zu sagen, dass der Vietnamkrieg ein offensichtlicher Fehler ist. Es kommt im Film zwar nicht vor, aber McNamara hat immer wieder darauf hingewiesen, wie groß die öffentliche Unterstützung für den Krieg war.

Warum haben Sie das herausgelassen? An Ihrem Film fällt auf, dass der Krieg nur strategisch und technisch gesehen wird. Er wird nicht politisiert. So wird nie gefragt, welche Rolle Wahlen bei der Entscheidung spielen, einen Krieg zu beginnen oder zu beenden.

Ein Film kann eben nicht alles erzählen. Er kann keine Geschichte des 20. Jahrhunderts, ja noch nicht einmal eine vollständige Geschichte von McNamara sein. Übrigens hatte McNamara ja auch eine Frau und drei Kinder, die gegen den Krieg waren.

Aber darüber will er nicht sprechen, wie er im Film sagt.

Aber durch dieses öffentliche Schweigen sind die Widersprüche im Film präsent, und zwar viel wirkungsvoller, das ist ja das Ironische.

Als Zuschauer gewinnt man den Eindruck, dass McNamara einen Lieblingstrick hat, um seine Vietnampolitik zu erklären: Er macht seine Irrtümer zu kollektiven Irrtümern. Er beginnt stets damit, „ich“ zu sagen, wenn er einen Fehler einräumt, doch dann ist er sehr schnell beim „wir“.

Wann wird eine Erklärung zur Ausrede? Der Kalte Krieg, die Dominotheorie, die Komplexität des Krieges oder Präsident Johnson, dem er Loyalität geschworen hatte – das sind durchaus Erklärungen. Die Leute glaubten an den Kalten Krieg und er existierte auch. Es gab diese verrückten Nationen, die Tonnen von nuklearen Waffen bauten, und mein Land war eines davon. Trotzdem müssen die Verantwortlichen natürlich zur Rechenschaft gezogen werden. Aber bisher wird viel zu wenig darüber diskutiert, wie die Gruppenpsychologie Kriegsentscheidungen beeinflusst.

Wollen Sie sagen, McNamara sei also nur ein Spielball der Umstände?

Mir war es wichtig, McNamara nicht zu konfrontieren, denn dann erfährt man nichts über einen Menschen. Außerdem ist es moralisch billig, jemanden einfach nur zu verurteilen. Dieses „Ha, erwischt!“ ist uninteressant. Es ist viel verstörender, sich darauf einzulassen, wie jemand sich und die Welt sieht. Etwa wenn McNamara sagt, dass seine gesamte Familie von seiner Zeit als Verteidigungsminister profitiert hätte – und gleichzeitig einräumt, dass diese stressigen Jahre seine Frau langfristig das Leben gekostet haben. Das fängt die Komplexität dieses Mannes ein, der eine unglaubliche Angst hat, er könnte ein „bad guy“ sein, und uns so dringend vom Gegenteil überzeugen möchte.

Sie haben die Interviews mit McNamara kurz vor dem 11. September begonnen; die Dreharbeiten zogen sich über drei Jahre hin. Dennoch befragen Sie ihn nicht zum Irakkrieg oder zum Terror. Warum?

Die Parallelen zwischen dem Vietnam- und dem Irakkrieg schwingen natürlich mit. Ich wollte aber nicht darauf herumreiten, das hätte den Film zu einer Art Propagandafilm gemacht. Es ist schon deutlich genug, dass McNamara den Irakkrieg jetzt in den Medien kritisiert.

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